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07.10.2013 00:45
Bundespräsident Gauck, ein neoliberaler Phrasendrescher?
"Auch in der Festrede zum Tag der Deutschen Einheit hat der gelernte Seelsorger und heutige Bundespräsident ein naives Zerrbild der Gegenwart gezeichnet, wie es unzutreffender kaum sein könnte. Rhetorisch ausgefeilt, von Freiheit und Demokratie schwafelnd, stützt er die grassierende neoliberale Machtergreifungsideologie und spaltet die Gesellschaft weiter.  JWD

Gaucks Rede beginnt mit der Freiheit, die er jetzt gefunden haben will:
    "Die Freiheit in der Freiheit gestalten"

    Vor 23 Jahren stand ich auf den Stufen des Reichstagsgebäudes in Berlin und ich erinnere mich noch heute an den Klang der Freiheitsglocke, als um Mitternacht die Fahne der Einheit aufgezogen wurde. Es war der Abschluss einer bewegenden Zeit, vom Aufbruch im Herbst 1989 bis zum Tag der Vereinigung – für mich war es die beglückendste Zeit meines Lebens.

    Der Freiheitswille der Unterdrückten hatte die Unterdrücker tatsächlich entmachtet – in Danzig, in Prag, in Budapest und in Leipzig. Was niedergehalten war, stand auf. Und was auseinander gerissen war, das wuchs zusammen. Aus Deutschland wurde wieder eins. Europa überwand die Spaltung in Ost und West.

    Ich denke auch zurück an die Monate der Einigung, und nicht wenige der Abgeordneten der ersten frei gewählten Volkskammer sind heute unter uns. Wie viel Bereitschaft zur Verantwortung war damals notwendig, um Deutschland zu vereinen, wie viel Entscheidungsmut, wie viel Improvisationsgabe. Wie vieles war zu regeln: diplomatische und Bündnisfragen, grundsätzliche Weichenstellungen, hochwichtige, aber manchmal auch banale Details. Alle, die damals mitwirkten, waren Lernende, manchmal auch Irrende – aber immer waren sie, waren wir Gestaltende! Der 3. Oktober erinnert uns also nicht nur an die überwundene Ohnmacht. Er zeugt auch von dem Willen, die Freiheit in der Freiheit zu gestalten.
Das Freiheitsbild von Herrn Gauck ist mehr als schief. Kann man angesichts der vielen Millionen Menschen die im Zuge der Wiedervereinigung sozial abgehängt, ausgegrenzt und verelendet wurden, wirklich so uneingeschränkt von Freiheit reden. Germany, made in USA, ein bis heute nicht souveränes Land. Ist dies die freiheitliche Umgebung, in der Gauck seine Freiheit gestalten will? Ja wir, die Mehrheit der Bürger, haben eine relative Freiheit erfahren, die aber gerade, absurderweise deshalb in Gefahr ist, weil es keinen kalten Krieg mehr gibt und unsere Schutzmacht deshalb die Zügel straffen kann. Aber davon ist Herr Gauck persönlich wenig betroffen, weil er zu den Privilegierten zählt. Herr Gauck, eine unbeugsame Kämpferin für Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit, eine die wegen ihrer Überzeugungen im Gefängnis saß und kurz nach ihrer Entlassung Opfer eines Auftragsmordes durch die Regierung wurde, hatte, wie ich meine zutreffend formuliert: ...Freiheit als Privilegium, ist keine Freiheit!*
    All das klingt nach am heutigen Tag, dem Tag der Deutschen Einheit.

    Wir blicken zurück auf das, was wir konnten – dankbar für das Vertrauen, das andere in uns setzten, und stolz auf das, was wir seitdem erreicht haben: Ostdeutsche, Westdeutsche und Neudeutsche, alle zusammen – wir alle hier im Lande, zusammen mit Freunden und Partnern in Europa und der ganzen Welt. Das vereinigte Deutschland, es ist heute wirtschaftlich stark, es ist weltweit geachtet und gefordert. Unsere Demokratie ist lebendig und stabil. Deutschland hat ein Gesellschaftsmodell entwickelt, das ein hohes Maß an Einverständnis der Bürger mit ihrem Land hervorgebracht hat. Für viele Länder in der Welt sind wir sogar Vorbild geworden – für Menschen meiner Generation fast unvorstellbar. All das ist Grund zur Dankbarkeit und Freude – einer Freude, die uns heute aber vor allem Ansporn sein soll!
"Wir blicken zurück auf das was wir konnten"? - Auf was denn Herr Gauck? Reichlich wenig konnten die leichenfleddernden,  damals machthabenden Akteure. Es war ein beispielloser Raubau auf Kosten der Bevölkerung in West und noch vielmehr in Ost. Man sollte sich dafür schämen, anstatt stolz auf diese dunkle Phase deutscher Nachkriegsgeschichte zu sein.

Das von Gauck hervorgehobene, in Deutschland entwickelte Gesellschaftsmodell, welches ein hohes Maß an Einverständnis der Bürger mit ihrem Land hervorgebracht, hat leider nur ganz peripher etwas mit Demokratie zu tun. Es ist vielmehr fast ausschließlich Folge massiver Meinungsmanipulation mittels gleichgeschalteter Massenmedien, nebst der vielen Lobbyorganisationen, oft im Gewand gemeinnützig anerkannter Stiftungen, welche finanziell reichlich gut durch die deutsche Wirtschaft ausgestattet werden, bzw.  steuervermeidend letztlich von eigentlich dem Staat, also der Allgemeinheit, zustehendem Geld finanziert werden.
    [..] Denn vieles fordert uns heute heraus. Besonders auf drei große Herausforderungen möchte ich heute eingehen. Entwicklungen, die nicht jederzeit und nicht für jeden im Alltag spürbar sind, weil sie langfristig wirken. Entwicklungen auch, die nicht mehr allein innerhalb der Landesgrenzen zu regeln sind.

    Erstens: In einer Welt voller Krisen und Umbrüche wächst Deutschland neue Verantwortung zu. Wie nehmen wir sie an? Zweitens: Die digitale Revolution wälzt unsere Gesellschaft so grundlegend um wie einst die Erfindung des Buchdrucks oder der Dampfmaschine. Wie gehen wir mit den Folgen um? Beginnen möchte ich allerdings – drittens – mit dem demographischen Wandel. Unsere Bevölkerung wird in beispielloser Weise altern und dabei schrumpfen. Wie bewahren wir Lebenschancen und Zusammenhalt?
Ersten Herr Bundespräsident: für ganz viele Krisen ist die Bundesrepublik in hohem Maße mit- und teils sogar hauptverantwortlich. Und es gibt gar keine Anzeichen dafür, dass die Hauptschuldigen dies wahrhaben, geschweige denn, Verantwortung nach dem Verursacherprinzip dafür übernehmen zu wollen. Zweitens: Warum höre ich nur aus ihrer halbseidenen Formulierung heraus, dass sie uns erzählen wollen, die Totalüberwachung aller Menschen, sei eine letztlich nicht zu vermeidende, hinzunehme Folge der digitalen Revolution. Mit Demokratie passt dies allerdings überhaupt nicht zusammen. Und drittens, Herr Bundespräsident: ihre pharisäerhafte Vorausschau auf die demografische Entwicklung in unserem Land lässt befürchten, falls es sich nicht um eine Gehirnschrumpfung in beispielloser Weise handelt, dass sie sich auf wissenschaftlicher Ebene der Problematik noch nicht genähert haben. Oder sind sie vordergründig der Versicherungswirtschaft und für deren Bilanzen verantwortlich?
    [..] Mir ist bewusst – ich müsste noch über viele innenpolitische Herausforderungen sprechen: über die Energiewende, die erst noch eine Erfolgsgeschichte werden muss. Auch über Staatsverschuldung etwa oder die niedrige Investitionsquote, die nicht ausreicht, um das zu erhalten, was vorige Generationen aufgebaut haben. Und darüber, dass noch nicht ehrlich genug diskutiert wird über die Kluft zwischen Wünschenswertem und dem Machbaren.
Gibt es wirklich auch in der heilen, freiheitlichen Welt Dinge die angesprochen werden müssten? Aber warum wird denn darüber nicht gesprochen? Darüber warum die aktuelle Politik dabei ist, positive Entwicklungen bei den erneuerbaren Energien zu stoppen. Nicht gesprochen darüber, dass die Staatverschuldung gar nichts damit zu tun hat, dass die Unternehmer nicht investieren. Auch weil diese Gewinnmaximierer den Menschen zu geringe Löhne geben und deshalb keine Nachfrage im Inland entstehen kann, wodurch Investitionen erst erforderlich werden würden. Nicht gesprochen darüber, dass ein Land nicht dauerhaft Exportüberschüsse erwirtschaften kann, ohne eine Deflationsspirale in Gang zu setzen.

Wünschenswert und machbar? Ich versuche jetzt einmal die Dinge so auszudrücken, wie sie es wohl meinen, aber so formulieren, dass viele Menschen nicht erkennen was ihnen geschehen soll:

Liebe Mitbürger, ja, von dem Geld, dass sie erarbeitet und in Form von Steuern der Gemeinschaft gegeben haben, wurden die reichsten im Land unterstützt, sonst hätten die ihre Spekulationsverluste selbst tragen müssen. Euer Schuldenstand, liebe Bürger, ist deshalb natürlich gestiegen und Euer Geld haben jetzt die Reichen. Die wollen aber jetzt auch für dieses Kapital hohe Renditen haben. Jetzt aber wird es etwas zu kompliziert. Kurzum, es wäre wünschenswert, wenn von den Gewinnen etwas für Investitionen zurückfliesen würde, damit die inländische Wirtschaft in Schwung käme. Aber dann würden die Löhne steigen und das wollen die übermächtigen Exportprofiteure nicht. Deshalb ist dies auch nicht machbar.
    Viele können in den kommenden Jahren vieles noch besser machen, damit die Jahrzehnte danach gut werden. So wie wir heute davon profitieren, dass wir vor einem Jahrzehnt zu Reformen uns durchgerungen haben, so kann es uns übermorgen nutzen, wenn wir morgen – meine Damen und Herren Abgeordnete! – wiederum Mut zu weitsichtigen Reformen aufbringen. Denn wir wollen doch zeigen und wir wollen es erleben, dass eine freiheitliche Gesellschaft in jedem Wandel trotz aller Schwierigkeiten neue Entfaltungsmöglichkeiten für den Einzelnen und für die Vielen erschließen kann.
Viele können es besser machen: Warum nur ein halbes Jahr unbezahltes Praktikum? Ein oder zwei Jahre sollte doch auch möglich sein. Aber wieso profitieren wir davon. Wer ist wir? "So wie wir heute davon profitieren, dass wir uns vor einem Jahrzehnt zu Reformen durchgerungen haben"?? Also mit "wir" können wir gar nicht gemeint sein. Und profitieren von dem Sozialraubau, den nur Schwätzer mit Reformen bezeichnen, nein, davon profitieren wir nicht!!!

Man höre und staune, der Massenverelendung ist noch nicht genug getan: "- meine Damen und Herren Abgeordnete! - wiederum Mut zu weitsichtigen Reformen" [..] Entfaltungsmöglichkeiten für den Einzelnen und für die Vielen". Die Vielen, - dass sind sicher die Hungerleider, die kreativ Überlebensstrategien entwickeln müssen, die Einzelnen, dass dürften die Berggruens dieser Welt sein, die ihren "Standard & Living" durch Sozialabbau bei ihren Untergebenen halten, oder steigern wollen.

Das das Volk ärmer werden muss, dessen scheint sich unser Bundespräsident sicher zu sein. Bei den neuen Technologien machen ihm offensichtlich einige Unwägbarkeiten  zu schaffen. War doch die Stasi in der DDR, als er dort in traumatischer Unfreiheit leben musste, nur Kingerlitz gegenüber der Bespitzelung, die uns durch unsere, ihre Freiheit liebenden Freunde widerfährt. - Aber Herr Gauck, in einer freien Gesellschaft, wo niemand etwas zu verbergen hat, ist dass doch etwas ganz anderes. Und die Entfaltungsmöglichkeiten jener Einzelnen, um die vielen Millionen Arbeitssklaven, welche diese Einzelnen einmal haben wollen, überwachen zu können und so ihre eigene Freiheit sichern, sind doch überzeugend vielfältig.

Ob die ihre uneingeschränkte Freiheit liebenden, im Hintergrund agierenden strategischen Vordenker im Auftrag der Neocons, das Internet wirklich nicht schon längst so gestaltet haben, wie es für ihre Weltherrschaftspläne zweckmäßig scheint, ist eher unwahrscheinlich. Eine ganze Generation junger Menschen, die Rund um die Uhr am Netz hängt, in sogenannten sozialen Netzwerken eingewoben, ist doch geradezu prädestiniert den Chip in Reiskorngröße eingepflanzt zu bekommen und so vollends zum funktionierenden, fremdbestimmten Werkzeug, ohne eigenes Denken zu werden.

Es sind die Etablierten, die Satten, die Konservativen, die Oberflächlichen, die mit der "nach mir die Sintflut Mentalität", solche, die vor Ehrfurcht erstarren, wenn ihnen jemand rhetorisch geübt, mit wohlfeilen Worten die Sinne vernebelnd, in ihr Unterbewusstes eindringt, die Gläubigen, die Obrigkeitshörigen, die, die es besser Wissen müssten, würden sie ihren Verstand einschalten; sie sind es, die die Errungenschaften unsere Gesellschaft sukzessive den neofeudalen Raubtieren zum Fraß vorwerfen.

Herr Bundespräsident, sie sind ein wichtiges Rädchen in dieser Meinung-Verblödungsmaschinerie geworden. Es ist sicher auch kein Zufall, dass sie den ganz wesentlichen Aspekt der Wirtschaftsspionage durch die von der Wallstreet kontrollierten Geheimdienste unserer Hegemonialmacht nicht erwähnt haben. Aber die Angst zu schüren, vor der ach so dramatischen Terrorgefahr, die unser aller Leben gefährdet und schon deshalb gigantische Überwachung, am besten von allen 7 Milliarden Menschen notwendig macht, diese Angst zu schüren, haben sie, gelobt sei es, nicht vergessen. Wie wichtig das Terrorproblem für unser aller Überleben ist, darüber können sie sich ..hier noch besser informieren. Elias Davidsson hat sich die Mühe gemacht, akribisch eine Terrorstatistik zusammen zu tragen, da es so etwas offiziell, wohl aus gutem Grund nicht gibt. Mit einem überraschenden Ergebnis. [..hier]
    Dies alles will diskutiert und abgewogen sein. Die gute Nachricht lautet: Ein starkes Band aus Mentalität, Kultur und Geschichte, es hält Europa zusammen. Entscheidend ist aber unser unbedingter Wille zur gemeinsamen Gestaltung der Zukunft. Europa, so spüren wir jetzt, kennt nicht nur eine Gestalt, auch nicht nur eine politische Organisationsform seiner Gemeinschaft. Da haben wir zu streiten und zu diskutieren über die beste Form der Zusammenarbeit, nicht aber über den Zusammenhalt Europas! Und unsere Einigungen haben wir so zu kommunizieren, dass die europäischen Völker die Lösungen akzeptieren und mittragen können. Es bleibt die Aufgabe der Politik – und als Bundespräsident nehme ich mich da überhaupt nicht aus – das Europa Verbindende zu stärken.
Unbedingter Wille zur gemeinsamen Gestaltung der Zukunft? Oh! Das hätte er doch mal dem Schäuble, der Merkel, denen vom IWF, von der EZB und den sonstigen Entscheidungsträgern sagen sollen, bevor diese ganz Südeuropa ohne Not in Brand gesteckt haben. Oder ist unser Bundespräsident ein Heuchler? Verräterisch jedenfalls die Formulierung: "..wir haben zu streiten.. Und unsere Einigung den Völkern so zu kommunizieren, dass die europäischen Völker die Lösungen akzeptieren.."

Wer hat was zu akzeptieren? - Ist Demokratie nicht eine Staatsform in der sich die Mehrheitsmeinung des Volkes widerspiegeln soll? Wieso muss dann "wir", offensichtlich eine höhere, dem Volk übergeordnete Instanz, ihre Einigungen dem Volk schmackhaft machen? Warum den Staaten erklären, dass sie sich gegenseitig niederkonkurrieren müssen? Ach ja, wenn der von Demokratie spricht, dann meint der natürlich keine Demokratie wie sie in unserem Grundgesetz steht, nein, der spricht von einer "wirtschaftskompatiblen, einer marktkonformen Demokratie" des Machbaren. Was immer das sein soll, mit herkömmlichen Vorstellungen ist so etwas nicht zu begreifen. Macht aber nix, wir bekommen dann ja genau kommuniziert, was wir zu tun und zu lassen haben. Sorry Herr Gauck, wie konnte ich so naiv sein?

Nun kann es natürlich auch hie und da manchmal vorkommen, gerade wenn das Band der Mentalität, Kultur und Geschichte ein wenig schwach ist, dass es mit dem Kommunizieren mit solchen (widerspenstigen) Völkern schwierig wird. Damit die Umsetzung der von "wir" erstrittenen Lösungen nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag dauert, müssen wir auch mal Verantwortung übernehmen und so ein bisschen Stärke zeigen. Am Hindukusch,  in Syrien, vielleicht mal im Iran. Halt überall dort, wo unsere (wirtschaftliche) Sicherheit bedroht scheint. Mit "unsere" sind wieder nicht "wir" gemeint, denn dies würde keinen Sinn ergeben.

Ganz in der Tradition preußischer Großmannssucht, von militärischer Stärke, wollen sie (wieder nicht wir) in der Welt mitmischen.
    Was ist nun die Aufgabe Deutschlands in Europa und in der Welt? Manche Nachbarländer fürchten ja eine starke Rolle Deutschlands, aber andere wünschen sie sich. Auch wir selbst schwanken: Weniger Verantwortung, das geht eigentlich nicht länger, aber an mehr Verantwortung müssen wir uns erst noch gewöhnen.

    Fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb die politische Denkerin Hannah Arendt: "Es sieht so aus, als ob sich die Deutschen nun, nachdem man ihnen die Weltherrschaft verwehrt hat, in die Ohnmacht verliebt hätten." Deutschland hatte, wir wissen es alle, Europa in Trümmer gelegt und Millionen Menschenleben vernichtet. Was Arendt als Ohnmacht beschrieb, hatte damals eine politische Ratio. Das besiegte Deutschland musste sich erst ein neues Vertrauen erwerben und seine Souveränität wiedererlangen.

    Vor wenigen Wochen, bei meinem Besuch in Frankreich, da wurde ich allerdings mit der Frage konfrontiert: Erinnern wir Deutsche auch deshalb so intensiv an unsere Vergangenheit, weil wir eine Entschuldigung dafür suchen, den heutigen Problemen und Konflikten in der Welt auszuweichen? Lassen wir andere unsere Versicherungspolice zahlen?
Die Wahrnehmung unseres Herrn Bundespräsidenten scheint mir eine sehr Selektive zu sein. Wo hat er denn diesen "wir"-Franzosen gefunden. Mehrheitsfähig ist dieser bestimmt nicht. Man glaubt es kaum:
    Es gibt natürlich Gründe, diese Auffassung zu widerlegen oder ihr zu widersprechen. Die Bundeswehr hilft, in Afghanistan und im Kosovo den Frieden zu sichern. Deutschland stützt den Internationalen Strafgerichtshof, es fördert ein Weltklimaabkommen und engagiert sich stark in der Entwicklungszusammenarbeit. Deutschlands Beiträge und Bürgschaften helfen, die Eurozone zu stabilisieren.

    Trotzdem, es mehren sich die Stimmen innerhalb und außerhalb unseres Landes, die von Deutschland mehr Engagement in der internationalen Politik fordern. In dieser Liste findet sich ein polnischer Außenminister ebenso wie Professoren aus Oxford oder Princeton. Ihnen gilt Deutschland als schlafwandelnder Riese oder als Zuschauer des Weltgeschehens. Einer meiner Vorgänger, Richard von Weizsäcker**, ermuntert Deutschland, sich stärker einzubringen für eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik.

    Es stellt sich tatsächlich die Frage: Entspricht unser Engagement der Bedeutung unseres Landes? Deutschland ist bevölkerungsreich, in der Mitte des Kontinents gelegen und die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Zur Stärke unseres Landes gehört, dass wir alle Nachbarn als Freunde gewannen und in internationalen Allianzen zu einem verlässlichen Partner geworden sind. So eingebunden und akzeptiert, konnte Deutschland Freiheit, Frieden und Wohlstand sichern. Diese politische Ordnung und unser Sicherheitssystem gerade in unübersichtlichen Zeiten zu erhalten und zukunftsfähig zu machen – das ist unser wichtigstes Interesse.

    Deshalb ist es richtig, wenn andere ebenso wie wir selbst fragen: Nimmt Deutschland seine Verantwortung ausreichend wahr etwa gegenüber den Nachbarn im Osten, im Nahen Osten oder am südlichen Mittelmeer? Welchen Beitrag leistet Deutschland, um die aufstrebenden Schwellenländer als Partner der internationalen Ordnung zu gewinnen?

    Und wenn wir einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anstreben: Welche Rolle sind wir dann bereit, bei Krisen in ferneren Weltregionen zu spielen?
Die Waffenlobby hat offensichtlich gute Arbeit geleistet. Wo gibt es eine reale Kriegsgefahr für Deutschland und Europa? Gegen welche Angreifer haben wir uns vorsorglich zu schützen? Welche politische Ordnung ist denn durch wen gefährdet? Unübersichtliche Zeiten, die es erfordern unser Sicherheitssystem zukunftsfähig zu machen (Kampfdrohnen?), so Gaucks Suggestion. Ja ist der Mann von allen guten Geistern verlassen? Oder haben die "Wirs" soviel Angst vor uns, dass sie nach amerikanischem Vorbild einen Heimatschutz aufbauen wollen, der es ermöglicht, im Falle von sozialen Aufständen die halbe Bevölkerung einzukerkern?
    Unser Land ist keine Insel. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten verschont bleiben von den politischen und ökonomischen, den ökologischen und militärischen Konflikten, wenn wir uns an deren Lösung nicht beteiligen. [..]
Das ist ja schon fast kriegslüsternes Säbelrasseln. Gleichwohl, irgendwie wirkt unser Bundespräsident auf mich wie jemand, der sicht eine heile Welt vorgaukelt. Wie jemand, der sich seine eigenen Irrtümer niemals eingestehen würde und sich's gut gehen lässt, nach dem Motto: Glücklich ist, wer vergisst, was nicht zu ändern ist.

Hinweis:
Bei den eingerückten Textpassagen in Kursivschrift,  handelt es sich um Zitate aus der Rede von Bundespräsident Joachim Gauck
[Quelle: bundespraesident.de (PDF) ..hier]


*)  Rosa Luxemburg ..hier
**) Richard von Weizsäcker, rechter Preuße ..hier


 
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