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26.09.2017  10:00
Bundestagswahl 2017
Das falsche Gewicht und
kein Konzept für die Zukunft

Kommentar - Angela Merkel hätte schon gestern zurücktreten müssen, weil alles, was jetzt kommt, mit den berühmten „Mühen der Ebene“ nicht mehr angemessen beschrieben ist. [Quelle: makroskop.eu] JWD

 EU | 25.09.2017 |  Heiner Flassbeck  |  Quelle: makroskop.eu



Screenshot  |  Quelle: kla.tv  |  veröffentlicht  21.09.2017

Was in vier Jahren alles passieren kann. Nach der letzten Wahl gab es noch eine Mehrheit links von der Mitte und eine mutige sozialdemokratische Parteiführung hätte das Heft des Handelns an sich reißen und mit den Grünen und der Linken eine Regierung bilden können, die den Stillstand überwindet und vor allem in Europa neue Impulse setzt. Man hätte auch Angela Merkel in eine Minderheitsregierung zwingen (hier vor vier Jahren diskutiert) und aus der Opposition heraus die Politik verändern können. Hasenfüßig wie man war, wählte man aber lieber den Weg des geringsten Widerstandes, ging in eine große Koalition und ließ unendlich vieles geschehen, was fundamental sozialdemokratischen Werten und Zielen widersprach.

Und heute stehen die Sozialdemokraten vor einem Scherbenhaufen und das, obwohl die CDU/CSU, ihr Hauptgegner, das schwächste Ergebnis der jüngeren Geschichte erzielt hat. Man fragt sich nur, wie viel Freibier gestern im Willi-Brandt-Haus schon vor 18 Uhr geflossen sein muss, um die anwesenden Genossen bei der Rede des Vorsitzenden zum Jubeln zu bewegen. Die SPD hat nun alle vernünftigen politischen Optionen verloren und das wenigstens hat die Parteiführung erkannt. Ansonsten aber werden sie so weitermachen wie bisher, denn auf Opposition zu setzen, ohne über wirklich alternative politische Konzepte zu verfügen, wird die Profilierung bei dem Gemischtwarenladen einer Jamaika-Koalition noch viel schwieriger machen als bisher.

Der unsinnigste Spruch des gestrigen Abends war die von allen Sozialdemokraten immer wieder beschworene Formel: „Wir gewinnen gemeinsam und wir verlieren gemeinsam“. Man stelle sich das im Abstiegskampf einer Fußballmannschaft einmal vor, weil das heißt, dass niemand bereit ist, die Verantwortung für das Debakel zu übernehmen. Das bedeutet implizit, wir ändern in der Sache nichts, weil an der Spitze von Anfang an nur eine Figur stand, nicht aber eine Persönlichkeit, die jemals sachliche Verantwortung für ein profiliertes Programm übernommen hätte. Jeremy Corbyn hätte sicher zurücktreten müssen, wenn er die Wahl verloren hätte, weil er es war, der den britischen Sozialdemokraten ein neues Programm gegeben hatte. Martin Schulz hat nichts gegeben, folglich kann und will man ihm auch nichts nehmen.

Angela Merkel wirkte in der Runde der Spitzenkandidaten gestern Abend unendlich müde und frustriert. Auch sie hätte schon gestern zurücktreten müssen, weil – und das hat sie wohl selbst in der Runde realisiert – alles, was jetzt kommt, mit den berühmten „Mühen der Ebene“ nicht mehr angemessen beschrieben ist. Sie muss, um es im Sinne der Wahlprüfsteine von Makroskop zu sagen (hier noch einmal der letzte Stand), als vorletzter mit dem zweiten und dem allerletzten eine Koalition bilden. Das wird nicht nur sachlich schwer, das wird vor allem angesichts des mit unendlich viel heißer Luft aufgeblasenen Vorsitzenden der Liberalen ein Gewaltakt, den man niemanden wünschen kann.

Und das in einer Gesellschaft, die besonders in diesem Wahlkampf gezeigt hat, dass sie vollständig das Maß für die Bedeutung der Dinge verloren hat. Nicht nur in der Diskussion von Merkel und Schulz, sondern in fast allen medial inszenierten Wahlkampfbeiträgen wurde die Flüchtlingsfrage zu einer Schicksalsfrage Deutschlands hochstilisiert, die der AfD einen wunderbaren Nährboden für ihr völkisches Gewäsch bot. Ich weiß nicht wie oft die Bundeskanzlerin die Frage nach ihrer Flüchtlings-Entscheidung im Jahre 2015 schon beantwortet hat, aber als sie gestern hörte, dass die neu ins Parlament gewählte Partei kaum etwas anderes im Sinn hat, als eine juristische Überprüfungen vieler Entscheidungen der vergangenen Jahre zu erzwingen, hat sie sich sicher gefragt, ob es nicht einen Preis gibt, der auch für sie zu hoch ist.

So war es kein Wunder, dass Angela Merkel in der Diskussion tatsächlich die größte Übereinstimmung mit Katja Kipping von der Linken hatte, die genau dieses falsche Gewicht des Wahlkampfes beklagte und die Diskussion dringender Sachfragen anmahnte. Soziale Fragen, Ungleichheit und das Auseinanderdriften der Gesellschaft, Armut und Rente, marode Infrastruktur wegen mangelnder öffentlicher Investitionen, der beklagenswerte Zustand Europas, alles musste zurücktreten, weil der deutsche Journalismus und insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien in einem nie dagewesenen Irrlauf das Thema Flüchtlinge über alles andere hoben. [...]

Ich glaube nicht einmal, dass bei den meisten dahinter eine explizit rechte Gesinnung steckt (Leute wie Strunz von Sat 1 natürlich ausgenommen), aber das Thema lässt sich von jedem Journalisten leicht erfassen, die Fragen liegen auf der Hand und die Gegensätze zwischen den Parteien sind leicht offen zulegen. Warum sollte man komplizierte Themen wie die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik angehen, wenn man mit einem einfachen Thema eine viel bessere Show inszenieren kann?

Was jetzt kommt, wird ein beispielloses Klein-Klein werden. Angela Merkel wird für ein konsequentes Weiter-so eintreten, aber die Grünen als schwächster Partner einer möglichen Jamaika-Koalition werden um jeden Millimeter Klimawandel kämpfen, während die FDP sich um jeden Millimeter verdient machen will, um den sie den Staat zurückdrängt. Das ist schon ein fundamentaler Widerspruch in der Sache, auch wenn man sich in der Rhetorik sogar ähnelt. Die FDP muss aber darüber hinaus, um ihr Profil zu zeigen, darauf beharren, in allen Bereichen zu privatisieren und den deutschen Mittelstand zu stärken, was einerseits die Ungleichheit weiter vergrößern wird und andererseits die Fehlentwicklungen der Vergangenheit, vor allem bei der Rente, verstärkt.

Wirklich schlimm ist die europäische Position der FDP, während die Grünen hier vermutlich nicht stark genug sind, um Schlimmeres zu verhindern. Die Liberalen beharren auf der Verantwortung jedes einzelnen Staates für die eingetretenen Fehlentwicklungen, haben von einem deutschen Problem noch nie etwas gehört und möchten am liebsten sofort eine Insolvenzordnung für Staaten durchsetzen. Da sie kein wirtschaftspolitisches Konzept haben, das den Namen verdient, werden sie sich allen Erkenntnissen verweigern, denen sich in den letzten Jahren selbst konservative Kreise nicht entziehen konnten. Sollte Christian Lindner wirklich den Posten des Bundesfinanzministers anstreben und sich damit durchsetzen, werden wir uns Wolfgang Schäuble noch zurückwünschen.

Link zum Originaltext bei ' makroskop.eu ' ..hier

 

Passend zum Thema:

22.09.2017 [Quelle: heise.de]
National und Neoliberal
Der Extremismus der AfD ist ein Extremismus der Mitte – er entspringt dem neoliberalen Mainstream

Alexander Gauland würde es am liebsten mit Christian Lindner machen – falls sich die Gelegenheit ergeben sollte, versteht sich. Der smarte FDP-Posterboy sei sein bevorzugter Koalitionspartner, erklärte der greise – aber offensichtlich immer noch rüstige – Spitzenpolitiker der AfD gegenüber Medienvertretern rund eine Woche vor der Bundestagswahl.

Wenn es sein müsse, würde die AfD mit der FDP koalieren, da gebe es die größten Überschneidungen, erläuterte der AfD-Führer. Bislang stellt sich zumindest offiziell diese Option nicht, da vor den Wahlen, trotz erster Annäherungen zwischen CDU und AfD in der ostdeutschen Provinz, sowohl die FDP wie auch die CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnen.

Auf den ersten Blick mag diese Koalitionspräferenz des AfD-Politikers überraschen, da Gauland hierbei die strikt neoliberale FDP einer rechtskonservativen Kraft wie der CDU vorzieht. Bislang hat der Spitzenkandidat der AfD vor allem durch rassistische und geschichtsrevisionistische Provokationen von sich reden gemacht, die ihn ein Verfahren wegen Volksverhetzung einbrachten. Dass aber ein ins Rechtsextreme strebender Populist, der sich immer stärker in nationalsozialistischer Ideologie verfängt, ausgerechnet mit der Partei der marktradikalen Globalisierungsbefürworter koalieren würde, scheint deplatziert.

Indes, wie so oft bei der extremen Rechten, trügt hier einfach der erste Schein. Zum einen kennt man sich aus neoliberalen Thinktanks. Christian Lindner war bis 2015 Mitglied der extrem neoliberalen Hayek-Gesellschaft, in der inzwischen AfD-Sympathisanten tonangebend sind. Die Süddeutsche bezeichnete den neoliberalen Thinktank gar das „Mistbeet“ der AfD. Die Hayek-Gesellschaft hat sich der Propagierung „marktradikaler Ideen“ verschrieben und spielt eine führende Rolle bei der „ideologischen Ausrichtung und Koordinierung einer Vielzahl neoliberaler Denkfabriken und Netzwerke“, schreibt Lobbywatch. Es bestünden „enge Beziehungen“ auch „zur Alternative für Deutschland.“

Neben der Schweizer Spitzenkandidatin Weidel sind in der Hayek Gesellschaft die berüchtigte Beatrix von Storch sowie Peter Boehringer organisiert, der bei der Bundestagswahl auf dem zweiten Platz der bayerischen Landesliste kandidiert. Die AfD mag sich als die einzig wahre Opposition präsentieren, als die Partei des kleinen (deutschen) Mannes, die alle zu kurz gekommenen Volksgenossen ins Recht setzen und mit den korrupten Eliten aufräumen werde. Doch in Wirklichkeit will sie nicht den Bruch mit den bestehenden Verhältnissen, sondern deren krisenbedingte Verschärfung. Das bestehende neoliberale System soll ins Extrem getrieben werden.

Weiterlesen im Originaltext bei ' Telepolis ' ..hier


Anmerkung: Welcher neoliberalen Wirtschaftsideologie die Fans von Friedrich Hayek wie offensichtlich Gauweiler und Lindner hinterher hecheln, ist im folgenden Beitrag nachzulesen. Sehr interessant der Abschnitt "Das Geständnis von Hayek zur Verursachung der Weltwirtschaftskrise". Es wird deutlich, mit welchen asozialen Typen wir es zu tun haben. Der Treppenwitz schlechthin ist, dass sich Menschen gerade der unteren und mittleren Einkommensschichten der Illusion hingeben, die AFD oder auch die FDP sei eine Alternative zur Massenverelendung via Neoliberalismus. Deshalb meine Leseempfehlung wie folgt:

25.07.2017 12:00
Der Freiheitsschwindel - Neoliberalismus und die angloamerikanischen Netzwerke
Es wäre ein gefährlicher Irrtum, den Kapitalismus und nicht den Neoliberalismus für das Problem zu halten, schreibt der akribische Analyst Wolfgang Waldner, in seiner gut recherchierten Beschreibung der heutigen Mainstream-Ökonomie. - Zuletzt kontrolliert im Kapitalismus eine globale Oligarchie das Kapital und damit alle Staaten und Völker. Der Neoliberalismus liefert den Oligarchen die dazu notwendige Ideologie, damit sie ihre unbeschränkte Herrschaft ausweiten können. Wir müssen die Geschichte des Neoliberalismus studieren, um die verborgenen Zusammenhänge erkennen zu können.  JWD  ..weiterlesen
 

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