24.08.2016 01:30 Worum geht es wirklich?
Ist Deutschland ein Handlanger der USA? Besteht
Kriegsgefahr gegenüber der russischen Föderation? Einige Antworten auf diese
Fragen dürften Sie erstaunen. Nichts ist so, wie es scheint... [Quelle:
free21.org] JWD
Quelle:
antikriegTV via Youtube | veröffentlicht 15.08.2014
(Veröffentlichung vom 27.05.3014 JWD) Geostrategische Interessen im Ukrainekonflikt
Jochen Scholz, Oberstleutnant a.D. der NATO-Luftwaffe
erläutert die verschiedenen geostrategischen Interessen der Weltmächte beim
aktuellen ukrainischen Bürgerkrieg. Scholz machte kürzlich auf sich Aufmerksam, als er
einen offenen Brief an den Präsidenten Russlands, Wladimir Putin schickte.
Jochen Scholz war 12 Jahre in NATO-Gremien, 6 Jahre in NATO-Stäben, sowie 6
Jahre im Bundesministerium der Verteidigung tätig. JWD
Nach wie vor streben die USA, bzw. die dahinter stehende Hochfinanz, die
alleinige und uneingeschränkte Weltherrschaft an. Alle bisherigen Aktivitäten in
der Ukraine können und müssen als Machtprojektion zur Sicherung von
Wirtschaftsinteressen der westlichen Finanzeliten verstanden werden. Mit dem
stetig weiter ausgebauten Raketenabwehrschirm soll ein nuklearer Erstschlag zur
Neutralisierung Russlands ermöglicht werden.
Dies lässt sich sehr gut auch den Ausführungen von Jochen Scholz entnehmen:
Brennpunkt Ukraine#1
Quelle: antikrieg.tv via Youtube | veröffentlicht
26.05.2014
Jochen Scholz, Oberstleutnant a.D. - NATO Expansion bis
an Russlands Grenze
Brennpunkt Ukraine #2
Konkurrierende Interessen EU / USA?
Brennpunkt Ukraine #3
Militärischer Konflikt mit Russland?
Brennpunkt Ukraine #4
Deutsche Medien von USA dominiert?
Brennpunkt Ukraine #5
Gefahren eines NATO Beitritts
(Fortsetzung des Transkripts von Transcript Team bei
free21.org)
... Jochen Scholz: Ich sage erst einmal etwas zu meiner Person. Ich bin
ja bekanntlich 38 Jahre in der Luftwaffe gewesen und bin im Jahre 2000 in
Pension gegangen. Und ich war in dieser Zeit insgesamt 12 Jahre lang in
NATO-Gremien und auch 6 Jahre in NATO-Stäben tätig und die letzten 6 Jahre
meiner Dienstzeit auch im Verteidigungsministerium. Ich habe damals insbesondere
die Situation auf dem Balkan hautnah mitbekommen. Und ich bin heute – ja was bin
ich heute? – ein freischwebender politischer Mensch, der sich für die aktuellen
Geschehnisse interessiert und der versucht, sich ein Bild zu machen über die
Ereignisse und die Ereignisse versucht richtig einzuordnen in das
Gesamtgeschehen in dieser Welt. Derzeit schreibe ich an einem Buch über das
amerikanische Jahrhundert und da passt die aktuelle Lage in der Ukraine und
Europa, auf diesem großen Kontinent überhaupt, das passt natürlich sehr gut
hinein in diese Geschichte.
Antikrieg TV: Sie haben einen Brief an Präsident Putin verfasst. Wie ist
die Idee dazu zustande gekommen, und gab es mittlerweile Reaktionen darauf?
Jochen Scholz: Also der Brief; ich habe ihn zwar geschrieben, aber die
Idee entstand in meinem erweiterten Netzwerk von einer Person, der die Rede von
Putin am 18. März vor der Staatsduma gehört hatte und gesagt hat: ‚Wir sollten
uns vielleicht überlegen, auf den Appell Putins zu reagieren.‘ Er hat ja
speziell die Deutschen angesprochen, er hat ja um Verständnis gebeten speziell
für das, was er da auf der Krim gemacht hat; vor dem Hintergrund der positiven
Rolle, welche die Sowjetunion bei der Wiedervereinigung 1989/90 gespielt hat.
Und so ist dieser Brief zu Stande gekommen. Der ist mittlerweile von sehr vielen
Bloggern und in Online-Foren aufgriffen worden, nicht nur bei uns hier in
Deutschland, sondern auch in der Ukraine und in Russland. Und die Zuschriften –
soweit ich das verfolgt habe – sind etwa zu 80% positiv. Es gibt viele Menschen,
die möchten heute auch noch unterschreiben, aber das lässt sich halt einfach
jetzt nicht mehr darstellen.
Antikrieg TV: Wie schätzen Sie die Entwicklung der NATO im Bezug auf die
Ost-Erweiterung ein?
Jochen Scholz: Es gab ja in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen
längeren Artikel dazu, zu der Frage: Was ist Russland bzw. der Sowjetunion
damals versprochen worden und was nicht. Da gibt es die widersprüchlichsten
Darstellungen zu den Ereignissen, aber man muss wahrscheinlich ein bisschen
tiefer graben. Gorbatschow sprach schon sehr früh, Ende der 80er Jahre, von dem
gemeinsamen Haus Europa. Und daraus kann man ja doch entnehmen, welche
Vorstellung er hatte für die künftige Entwicklung. Und da ist er wohl
offensichtlich davon ausgegangen, dass Russland zusammen mit den
westeuropäischen Staaten und natürlich auch den Vereinigten Staaten, eine wie
immer geartete gemeinsame Sicherheits- und vielleicht auch ökonomische
Architektur auf diesem großen Kontinent schaffen würde. Und von daher hat er die
offensichtlich gemachten Versprechungen von Seiten des Westens in dieses Konzept
gedanklich wieder eingebaut.
Ich beziehe mich, wenn ich eine Quelle zitiere, immer auf den ehemaligen
US-Botschafter in Moskau zu dieser Zeit. Der war von 1987-91 Botschafter in
Moskau und hat also die gesamten Gespräche natürlich persönlich miterlebt, auch
die persönlichen Begegnungen zwischen Bush und Gorbatschow oder zwischen Baker
und Gorbatschow. Und der hat in der Washington Post am 14. März 2014 einen
Artikel geschrieben unter der Überschrift: ‚Der Westen hat Russland seit der
Wende als Verlierer behandelt.‘ Dort schreibt er noch einmal ganz klar hinein,
dass die Vereinigten Staaten Gorbatschow die Zusage gegeben haben, dass sie
keinen Gewinn für sich herausschlagen würden aus dem sich auflösenden
sowjetischen System und kein Gewinn daraus ziehen würden, dass die Sowjetunion
bereit war, ihr Truppen aus Deutschland abzuziehen. Das ist eigentlich eine
ziemlich deutliche Aussage. Da muss man jetzt gar nicht fragen: Heißt das keine
NATO-Osterweiterung? Sondern wenn jemand sagt: Wir wollen keinen Gewinn daraus,
dass ihr euch zurückzieht; dann gehört da natürlich die Frage der
NATO-Osterweiterung hinein. Das ist natürlich ein Gewinn für den Westen gewesen
– keine Frage. Ich glaube, dieser Mann hat keinerlei Anlass heute irgendetwas zu
erzählen, was nicht den Tatsachen entspricht.
Wir haben ja dann auch gesehen, dass diese NATO-Osterweiterung so richtig an
Fahrt gewonnen hat unter Präsident Clinton. Nicht Vater Bush hat sozusagen sein
Versprechen relativiert, sondern der Nachfolger Clinton hat sich nicht an diese
Dinge gehalten. Und er war ja auch der Präsident als die NATO ihr 50-jähriges
Jubiläum feierte 1999 mitten im Kosovokrieg und dort eben weitere Staaten in die
NATO mit aufgenommen wurden. Das hat Präsident Clinton gemacht. Und da muss man
sich einfach einmal in die Situation Russlands versetzen und den Blick von Osten
nach Westen werfen. Dann wird man vielleicht verstehen, wie so etwas empfunden
wird, wenn also ein Staat nach dem anderen, der früher zum Warschauer Pakt
System gehörte bis hin zu Staaten, die früher selber zur Sowjetunion gehörten,
die baltischen Staaten zum Beispiel, NATO-Mitglieder werden.
Dann muss man sich einmal fragen: Was denkt so ein Land? Was denkt die
politische Klasse? Was denkt die Bevölkerung über so eine Ausweitung? Vor allen
Dingen auch vor dem Hintergrund, dass die NATO ja in dieser Zeit der Erweiterung
oder der Westen insgesamt, nicht gerade pazifistisch aufgetreten ist in der
Welt. Also den Kosovokrieg hatten wir. Wir hatten den Irakkrieg. Wir hatten den
Afghanistankrieg. Und die Amerikaner ja zugleich mit der Osterweiterung der NATO
ihren Raketenabwehrschirm über Osteuropa aufgebaut haben. Und dieser
Raketenabwehrschirm der wurde immer verkauft als Maßnahme gegen iranische oder
gegen Raketen aus Nordkorea, die Europa bedrohen könnten. Das heißt, gegen
iranische Raketen, die es noch gar nicht gibt, vor allen Dingen keine Atombomben
gibt und noch keine atomar bewaffnete Raketen gibt. Das klingt nicht besonders
glaubwürdig. Und wir wissen inzwischen ja auch über amerikanische Analysen von
amerikanischer Politologen, dass dieser Raketenabwehrschirm ganz anderem Zwecke
dient, nämlich dem Zweck das russische Erstschlagspotenzial zu zerstören und
damit auch die russischen atomaren Kräfte zu neutralisieren.
Da gibt es einen schönen Artikel im Foreign Affairs aus dem Jahre 2007 ‚The end
of MAD‘. Also MAD heißt Mutual Assured Destruction. Da kann man das wunderschön
nachlesen, diese Analyse. So etwas wird natürlich in Moskau zur Kenntnis
genommen, solche Absichten. Wobei ich hier noch einfügen muss: Diese Analyse
dieser zwei amerikanischen Politologen stellt natürlich nur das Potenzial dar
und sagt nichts über die wahren Absichten. Also die unterstellen ihrer Regierung
nicht, dass sie das ernsthaft vorhätten, aber sie sagen: ‚Wenn ich so etwas
mache und den Eindruck erwecke, ich neutralisiere damit ein Nuklearpotenzial,
dann ist das natürlich ein riesiges Erpressungsinstrument für die amerikanische
Politik gegenüber Russland.‘ Und diese ganze Vorgeschichte muss man nun
übertragen auf die Situation in der Ukraine. Und da hat Putin – aus meiner Sicht
– schlicht und einfach gesagt :‘Wenn jetzt also auch noch die Ukraine
perspektivisch in die NATO aufgenommen werden soll, dann haben wir eine direkte
Grenze mit NATO-Staaten. Und das wollen wir nicht. Wir wollen nicht direkt vor
unsere Haustür weitere Raketensysteme stationiert sehen.‘ Und deswegen hat er
die Notbremse gezogen. So einfach sehe ich das als defensive Maßnahme. Es gab
natürlich eine weitere Überlegung, als wir diesen Brief verfasst haben. Wir
wollten auch der russischen Bevölkerung zeigen, dass das, was sie möglicherweise
tagtäglich aus westlichen Medien über diesen Konflikt lesen, nicht der
Mehrheitsmeinung der Deutschen entspricht. Man muss sich ja auch mal in die
Situation sowohl der russischen Bevölkerung in Russland als auch der vielen
Russen, die hier in Deutschland leben. Da gibt es ja eine ganze Menge, nicht nur
in Berlin, die täglich diesem Bombardement der westlichen Sicht ausgesetzt sind.
Und denen wollten wir einfach einmal zeigen, dass ein signifikanter Teil der
Deutschen durchaus anders denkt und deswegen haben wir ja auch hingewiesen auf
die aktuellen Umfragen zu diesem Thema.
„Es gibt nicht den Westen und die westlichen Interessen, sondern es gibt ganz
grob gesehen einmal das US-Interesse und es gibt ein europäisches Interesse.
Wobei das europäische Interesse noch mal in sich möglicherweise differiert.“
Denn das muss man ja vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts mit
einbeziehen. Ich meine, wir Deutschen haben Russland 1941 überfallen und mit den
entsprechenden Konsequenzen. Den größten Blutzoll dieses Krieges hat die
Sowjetunion getragen bzw. die russische Bevölkerung getragen. Deswegen war es
für uns wichtig, dieses Signal zu geben: Das, was ihr in deutschen Medien lest,
entspricht nicht der Mehrheitsmeinung der Deutschen.
Antikrieg TV: Glauben Sie, dass in der Ukraine ein Unterschied zwischen
den europäischen und den US-Amerikanischen Interessen besteht?
Jochen Scholz: Ja, das ist für mich ganz eindeutig. Es gibt nicht den
Westen und die westlichen Interessen, sondern es gibt ganz grob gesehen einmal
das US-Interesse und es gibt ein europäisches Interesse. Wobei das europäische
Interesse noch mal in sich möglicherweise differiert. Wenn man das Gespräch der
Victoria Nuland mit ihrem Botschafter in Kiew sich noch einmal anhört – das war
Mitte Februar oder so – dann wird es ja sehr deutlich, dass die US-Interessen
mit den europäischen Interessen und Aktivitäten der Europäischen Union in Kiew
oder in der Ukraine nicht kongruent waren. Deswegen kam ja auch diese Bemerkung
mit ‚Fuck the EU‘, also ‚Scheiß EU‘. Die Amerikaner wollten einfach nicht, dass
die EU dort in ihre – wie sie es verstehen – Angelegenheiten sich einmischt. Es
sei denn, sie hätten auf der gleichen Linie agiert.
Und das war ja nicht der Fall, wie wir gesehen haben dann in den Aktivitäten des
Weimarer Dreiecks, also der drei Außenminister des Weimarer Dreiecks vom 21.
Februar. Das Abkommen hat ja keine zwölf Stunden gehalten, dann war es sozusagen
zermalmt worden.
Die US-Interessen in dieser Region lassen sich am besten mit einem Bild
beschreiben. Wenn man auf die Webseite des Ostausschusses der deutschen
Wirtschaft klickt, gibt es dort eine Unterkategorie und die heißt East-Forum.
Die ist seit 2013 als Webseite präsent und da steht unter diesem East-Forum ein
Text für eine gemeinsame Wirtschaftszone von Lissabon bis Wladiwostok. Und das
ist genau der Punkt, um den es hier geht: Diese gemeinsame Wirtschaftszone,
dieser gemeinsame Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok, der ja auch
Putins Vorstellung ist, der soll verhindert werden. Darum geht es. Insofern sind
die US-Interessen durchaus anders als die der Europäer, aber eben auch durchaus
anders als die von signifikanten Teilen der deutschen Industrie. Der
Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, der ja auch im Petersburger Dialog eine
gewisse Rolle spielt und im Deutsch-Russischen Forum eine gewisse Rolle spielt,
der schaut natürlich weiter in die Zukunft und schaut sich an, wo denn die
Zukunft der westeuropäischen Industrie liegt; nicht nur der deutschen, sondern
auch der westeuropäischen insgesamt. Und die liegt sicherlich in einem riesigen
Raum, der ökonomisch unterentwickelt ist und der damit große Chancen bietet. Und
wenn ich mir den Besuch von Siemensvorstandsvorsitzenden Kaeser in Erinnerung
zurückrufe, der wenige Tage nach den Ereignissen auf der Krim bei Putin war und
dafür im Zweiten Deutschen Fernsehen versucht wurde zu naja; man hat versucht –
nicht man, sondern Herr Kleber – ihn in inquisitorischer Manier dort also
vorzuführen. Und Kaeser hat ganz klar gesagt: ‚Die Firma Siemens ist seit 160
Jahren in Russland. Und die hat schon viele Stürme überstanden und sie wird auch
dort bleiben.‘ Das ist ein klares Signal. Und da sieht man dann die
unterschiedliche Interessenlage zwischen den USA und der Europäischen Union.
Wobei ich noch einmal differenziere: Es gibt sicherlich bei den Mitgliedern der
Europäischen Union auch unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man künftig
mit Russland umgeht.
„Es ist nicht der Westen, der hier steht, gegenüber Russland, sondern ein
durchaus gespaltener Westen, der Russland gegenübersteht. Und in dem
Zusammenhang will ich vielleicht auch etwas sagen zu der Vorstellung von Putin,
der ja diesen Begriff geprägt hat des gemeinsamen Wirtschaftsraumes von Lissabon
bis Wladiwostok.“
Es wird ein Unterschied sein, ob man einen deutschen Politiker fragt oder ob man
einen Dänen, einen Holländer – ich nenne jetzt nur Beispiele – oder einen Polen
fragt. Polen hat natürlich mit Russland historische Probleme, die auch
verständlich sind. Dänemark und Holland sind eher – na sagen wir einmal –
anglophil und in ihrer Orientierung Richtung England und auch USA ausgerichtet.
Und da ergeben sich natürlich auch Schwierigkeiten für die deutsche Politik,
dort zu einer gemeinsamen abgestimmten Haltung in diesem Konflikt zu kommen.
Also insofern ist es ein bisschen komplizierter: Es ist nicht der Westen, der
hier steht, gegenüber Russland, sondern ein durchaus gespaltener Westen, der
Russland gegenübersteht. Und in dem Zusammenhang will ich vielleicht auch etwas
sagen zu der Vorstellung von Putin, der ja diesen Begriff geprägt hat des
gemeinsamen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok. Also zunächst einmal
2010 in der Süddeutschen Zeitung in einem Gastbeitrag kurz vor dem
Deutsch-Russischen Forum, dem Treffen. Und dann bei seinem Amtsantritt 2012, als
er seine jetzige dritte Amtszeit angetreten hat, ist er in seiner Antrittsrede
nochmal darauf eingegangen. Und dieser gemeinsame Wirtschaftsraum muss natürlich
gebaut werden und die Bausteine können heißen Europäische Union und Eurasische
Union, also das, was Putin vorschwebt. Diese Eurasische Union wird diffamiert im
Westen als imperialistischer Versuch, die Sowjetunion im neuen Gewande wieder
aufzubauen. Ich meine, das ist alles grober Unfug. Diese Eurasische Union soll
nach dem Vorbild der Europäischen Union zunächst einmal einen gemeinsamen Markt
schaffen und dann gemeinsame politische Institutionen damit sie dann auf
gleicher Augenhöhe mit der Europäischen Union zusammenarbeiten, kooperieren
können. Das ist das Ziel. Eben um diesen großen Wirtschaftsraum herzustellen,
der vielleicht irgendwann auch einmal ein großer gemeinsamer politischer Raum
wird.
Antikrieg TV: Was wären die Konsequenzen, wenn sich die amerikanischen
gegenüber den europäischen Interessen durchsetzen?
Jochen Scholz: Ich meine, natürlich werden die Amerikaner – was heißt natürlich?
Die USA werden, weil sie ihren Anspruch nicht aufgegeben haben bisher, die Welt
zu dominieren in ihrem Sinne; also ökonomisch, kulturell, wirtschaftlich. Weil
sie diesen Anspruch immer noch nicht aufgegeben haben, werden sie natürlich
versuchen, eine solche Entwicklung zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum auf
diesem riesigen Doppelkontinent zu verhindern. Nur muss man sich einmal fragen:
Mit wie viel Aussicht auf Erfolg ist so etwas überhaupt zu machen? Kluge
US-amerikanische Analytiker wie Chalmers Johnson, der leider verstorben ist, der
hat schon vor zehn, zwölf Jahren von einer Überdehnung des American Empire
gesprochen. Und er hat gesagt: ‚Wir sollten lieber unsere Basen weltweit dicht
machen und die Mittel in die Infrastruktur in den USA, in das Bildungssystem, in
das Gesundheitssystem stecken, weil das ein Irrweg ist. Wir sind völlig
überdehnt.‘ Und das ist genau die Situation in der sich die USA befinden. Sie
können gegen die aufstrebenden ökonomischen Mächte, insbesondere China, da haben
sie keine konstruktiven Mittel mehr um denen zu begegnen oder das etwa zu
verhindern. Insofern sind alle Versuche, solche Prozesse zu stören,
längerfristig zum Scheitern verurteilt.
Der chinesische Präsident war vor wenigen Tagen, also vor rund zwei Wochen, auf
Europareise. Und eine seiner Äußerungen hier in Berlin bei der gemeinsamen
Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin war, dass er sagte: ‚China und
Deutschland sind ja in einer vergleichbaren Situation. Wir sind an einem Ende im
Osten und Deutschland ist am anderen Ende im Westen.‘ Was meint er damit?
Nämlich den riesigen Raum, der da zwischen uns liegt.
„Die USA werden, weil sie ihren Anspruch, die Welt ökonomisch, kulturell und
wirtschaftlich zu dominieren, bisher nicht aufgegeben haben, versuchen, die
Entwicklung zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum auf diesem riesigen
Doppelkontinent zu verhindern. Nur muss man sich einmal fragen: Mit wie viel
Aussicht auf Erfolg ist so etwas überhaupt zu machen?“
Und vor dem Hintergrund dieser Bemerkung muss man sich vergegenwärtigen, wo er
denn war in Deutschland, wo er Station gemacht hat. Und einer der ganz wichtigen
Termine für ihn war Duisburg. Da fragt jeder: Duisburg? Das ist eigentlich
bisher nicht bekannt dafür, eine weltpolitische Rolle zu spielen. Nun ist in
Duisburg der größte Binnenhafen Europas am Rhein und damit eine Verteilerstelle
für Logistik, für Güter. Und der ist deswegen nach Duisburg gefahren, weil dort
nach 16 Tagen Fahrt ein Zug ankam, nämlich ein Gütertransport aus China, der 16
Tage unterwegs war. Und diese Eisenbahnlinie, die dort bisher benutzt wird; die
Trassen, die bisher benutzt werden, die werden in einem Projekt, das bereits
begonnen wurde, ersetzt durch eine Hochgeschwindigkeitsgüterbahn. Und die
Chinesen nennen das ‚Die neue Seidenstraße‘. Und das bedeutet, dass ein Großteil
des Wirtschaftsaustauschs zwischen Westeuropa und China und natürlich auch den
Staaten, die dazwischen liegen, über diese Trasse laufen wird. Und damit nicht
mehr über den Seeweg. Da klingeln natürlich in Washington alle Alarmglocken,
denn dann kann man die Meerengen noch so gut kontrollieren. Wenn sie keine
signifikante Rolle mehr spielen für den Gütertransport, dann ist die Fähigkeit,
die Meerengen zu kontrollieren, sozusagen marginalisiert und hat keine Bedeutung
mehr. Das sind die Entwicklungen, die unwiderruflich sind. Die werden kommen.
Und dann können sie natürlich Störfeuer und Störfeuermanöver machen, aber
langfristig werden sie diese Entwicklung nicht verhindern können. Und deswegen
ist – das ist natürlich Spekulation – die Frage ist halt, ob die Einsicht bei
den amerikanischen Eliten da ist, dass sie diese Entwicklung nicht mehr stoppen
können. Und dass sie daraus ihre Schlüsse ziehen und sagen: ‚Wir müssen uns
vielleicht insgesamt geopolitisch anders orientieren, anders aufstellen.‘ Etwa
in der Form, dass man sagt: ‚Okay, unser Führungsanspruch, unser
Dominanzanspruch in der Welt lässt sich nicht mehr realisieren. Also müssen wir
Plan B entwickeln: Wie können wir uns in dieses neue entstehende System in der
Welt einordnen als vielleicht Gleicher unter Gleichen?‘ Aber so weit ist die
amerikanische Politik noch nicht, sondern sie glaubt immer noch, dass sie die
Welt dominieren kann. Und ein Mittel um die Welt zu dominieren – neben dem
Militär natürlich – ist eben der Dollar als Weltleitwährung, der immer noch als
Weltleitwährung akzeptiert ist. Und Weltleitwährung heißt ja, dass alle
wichtigen Güter in Dollar gehandelt werden zwischen den Staaten. Nur dieser
Dollar gerät in seiner Funktion als Weltleitwährung aber sehr stark unter Druck
momentan, weil es zunehmend Abkommen gibt zwischen Staaten, die den Dollar im
gegenseitigen Handel vermeiden. Der russische Zentralbankchef hat vorige Woche
gesagt auf die Frage, ob denn das so sinnvoll sei, wenn Russland mit Kasachstan
Geschäfte macht, dass dann die Rechnung über New York läuft. Und da hat er
gesagt: ‚Sie haben Recht. Es ist eigentlich sehr merkwürdig.‘ Das sagt man nicht
so dahin. Da sind Pläne da und Ideen da, den Dollar in dieser Funktion zu
umgehen indem man Geschäfte in eigener Währung macht oder einer anderen Währung
macht als den Dollar. Wenn diese Entwicklung weitergeht – und ich vermute, dass
sie weitergehen wird. Das werden wir im Mai sehen, wenn Präsident Putin in
Peking ist. Da werden ja einige Abkommen unterschrieben, die ja bereits in
Vorbereitung sind. – dann wird man ja sehen, dass die künftigen Geschäfte
zwischen Russland und China ebenfalls nicht mehr über den Dollar ablaufen.
„Es gibt Anzeichen dafür, dass die Rolle des Dollars als Weltleitwährung, die ja
seit 1944 besteht, zunehmend unter Druck gerät. Und wenn das der Fall ist, dann
können die Amerikaner, außer mit dem Militär, keinerlei Dominanz mehr ausüben.
Und dann darf man nicht vergessen, dass die sogenannten BRICS-Staaten ja bereits
so etwas wie eine Konkurrenz zum Internationalen Währungsfonds aufgelegt haben,
wo konkret bereits Einlagen einbezahlt wurden; also eine Clearingstelle für die
Geschäfte innerhalb der BRICS-Staaten. Und das sind alles Anzeichen dafür, dass
die Rolle des Dollars als Weltleitwährung, die ja seit 1944 besteht, zunehmend
unter Druck gerät. Und wenn das der Fall ist, dann können die Amerikaner, außer
mit dem Militär, keinerlei Dominanz mehr ausüben.
Diese Entwicklung sieht man natürlich in den Vereinigten Staaten, die sich da
anbahnt, und man ist bisher nur sozusagen destruktiv; man handelt also nur
destruktiv. Man hat keine konstruktive Idee, wie man mit diesen Entwicklungen
auf eine Weise umgeht, die natürlich nur heißen kann: Kooperation. Aber diese
Einsicht ist bei den amerikanischen Eliten offensichtlich nicht vorhanden.
Antikrieg TV: Besteht dadurch die Gefahr, dass diese Situation in einem
militärischen Konflikt mündet?
Jochen Scholz: Also die Gefahr, dass man in solch einer Situation, wo
einem die Felle davonschwimmen. Man muss das ja noch einmal sozusagen
zeithistorisch, zeitgeschichtlich zurückverfolgen bis zur Zeit der Wende. Da war
ja das Gefühl da: Der Westen war der Gewinner des Dritten Weltkrieges gewesen;
also der Kalte Krieg als Dritter Weltkrieg. Den haben wir gewonnen. Dann sprach
Fukuyama vom Ende der Geschichte. Und dann kam Ende 2000 ein Papier heraus von
Paul Wolfowitz vom American Enterprise Institute namens ‚Rebuilding America‘s
Defenses‘. Das war nicht in diesem Jahr entstanden, sondern es war ein Papier,
das in den 90er Jahren Schritt für Schritt entwickelt worden ist. Da war ja das
Gefühl da bei diesen neokonservativen Leuten: Also jetzt haben wir es geschafft.
Jetzt beherrschen wir die Welt und uns kann keiner mehr. Das war ein gewaltiger
Trugschluss. Und die Geschwindigkeit mit der sich China im Moment entwickelt
ökonomisch, die ist ja atemberaubend. Was einfach damit zusammenhängt, dass
China eben 150 Jahre technologische Entwicklung überspringen konnte. Weil
westliche Firmen in China investiert haben und China gesagt hat: ‚Okay, das ist
schön. Wir machen gute Geschäfte miteinander, aber wir wollen auch
Technologietransfer haben. Wir sind hier nicht die verlängerte Werkbank
westlicher Unternehmen, sondern wir wollen selber von diesen Technologien, die
im Westen entwickelt worden sind – in Europa und in Amerika – profitieren.‘ Das
hat diese Geschwindigkeit erzeugt, mit der die chinesische Wirtschaft
aufgestiegen ist. Und die Gefahr besteht natürlich, dass solche – ich nenne sie
immer – solche ‚Warrior‘, diese Neocons. Ich habe einen erwähnt – Paul Wolfowitz;
Aber es gibt ja dutzende von anderen. Victoria Nuland gehört auch dazu und ihr
Mann Robert Kagan und verschiedene andere, die möglicherweise auch bereit sind,
massiv mit dem Feuer zu spielen. Das will ich überhaupt nicht ausschließen.
Und wenn man sieht mit wem Präsident Obama umgeben ist als Berater: Das sind
überwiegend Leute aus dieser Richtung. Also Kerry ist sicherlich kein Neocon,
aber sein Einfluss auf die amerikanische Politik ist auch sehr begrenzt. Viel
größeren Einfluss hat eine Susan Rice, die nationale Sicherheitsberaterin ist.
Und das merkt man dann auch an seinem Agieren. In der New York Timeswar am 20.
April ein Artikel drin, da wurde berichtet, dass Obama sich entschlossen habe,
sich George F. Kennan zu reloaden, also das Containment-Prinzip neu anzuwenden
auf Russland, um Russland in der Welt zu isolieren.
„Ich erinnere daran, dass Frankreich und Deutschland ihr Veto eingereicht haben
als 2008 die Frage anstand, ob Georgien in die NATO aufgenommen werden soll. Und
auch bei dem Thema Ukraine in die NATO sind also Frankreich und Deutschland
durchaus dagegen. Aber es gibt auch kleinere europäische Staaten in Osteuropa,
die zum Beispiel diese Sanktionen nicht mitmachen wollen.
Das ist natürlich eine völlige Illusion. Aber daran sieht man, wes‘ Geistes Kind
die Berater von Obama sind, wenn sie ihm solche Ideen nahe bringen können und er
dann Bereitschaft zeigt auf so einem Wege voranzugehen. Das ist völlig zum
Scheitern verurteilt. Russland ist nicht international zu isolieren. Vor allen
Dingen nicht, wenn China nicht auch mitmachen würde bei dieser Isolation. Und
darauf kann man Gift nehmen, das China dabei nicht mitmacht.
Also die Gefahr, dass man militärisch zündelt, die ist bei so einer Denkweise
immer gegeben. Die Frage ist dann eben, wie sich die europäischen Partner im
nordatlantischen Bündnis NATO dazu verhalten. Da bin ich aber nicht ganz so
pessimistisch, denn ich erinnere daran, dass Frankreich und Deutschland ihr Veto
eingereicht haben als 2008 die Frage anstand, ob Georgien in die NATO
aufgenommen werden soll. Und auch bei dem Thema Ukraine in die NATO sind also
Frankreich und Deutschland durchaus dagegen. Aber es gibt auch kleinere
europäische Staaten in Osteuropa, die zum Beispiel diese Sanktionen nicht
mitmachen wollen. Dazu gehört die Slowakei, aber auch Bulgarien und auch
Rumänien. Also insofern kann man durchaus auch den ein oder anderen
Hoffnungsschimmer sehen. Und Außenminister Steinmeier hat sich ja nun vor zwei
Tagen noch einmal deutlich geäußert und gesagt, wir sollten aufhören, die
Eskalationsschraube ständig enger anzudrehen. Und auch verbal abrüsten. Da gibt
es dann natürlich andere Stimmen, die wir auch kennen. Elmar Brok, den
Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, der ein richtiger
transatlantischer Scharfmacher ist.
Aber letztendlich glaube ich, dass sich hier in der Bundesregierung die
vernünftigen Kräfte durchsetzen werden. Man darf ja nicht vergessen, dass es
offensichtlich zwischen Deutschland und Russland belastbare diplomatische Kanäle
gibt und zwar seit Jahrzehnten, seit Breschnew-Zeiten, also seit Helmut Schmidt
und Breschnew. Das ist mir nochmal klar geworden als der ehemalige verbeamtete
Staatssekretär im Verteidigungsministerium unter Helmut Kohl, also in der ersten
Regierung Kohl ‚83, Lothar Rühl in der FAZ vor wenigen Monaten darüber
geschrieben hat, wie die Situation während des NATO-Doppelbeschlusses und der
Nachrüstungsdebatte in Deutschland war. Er berichtete dann, dass nachdem Helmut
Kohl sich für den NATO-Doppelbeschluss eingesetzt hatte. Also für die Zuschauer
vielleicht nochmal zur Erklärung: Es ging darum, dass die Sowjetunion ihre
SS20-Mittelstreckenraketen aufgestellt hatte, die vom Westen als neue Qualität
eingeschätzt wurden. Und deswegen die Pershing-2 entwickelt wurde als
Gegenmittel, die auch hier stationiert werden sollte in Europa. Man hat dann
diesen NATO-Doppelbeschluss gefasst, der da lautete: ‚Wir rüsten nach gegenüber
der SS-20, sind aber bereit die wieder abzubauen, wenn die Sowjetunion ihre SS20
auch abbaut.‘ Das ist ja dann auch in Reykjavik zwischen Gorbatschow und Reagan
1986 vereinbart worden. Kurz zurück; ‚83: Dort war dieser Lothar Rühl als
Staatssekretär bei einer Diskussion – das schreib er selber in der FAZ – über
das Thema und zwar mit hochrangigen sowjetischen Vertretern. Und dort hat er dem
sowjetischen Botschafter gesagt: ‚Wissen Sie was, ich lade Ihren
Generalstabschef nach Bonn auf die Hardthöhe ein damit wir uns über das Thema
ausführlich unterhalten.‘ Und das haben sie gemacht. Und er kam. Der sowjetische
Generalstabschef, mitten im Kalten Krieg, kam nach Bonn und dort hat man dann
einen Weg gefunden mit diesem Thema moderierend umzugehen und gleichzeitig
ständige Generalstabsgespräche vereinbart zwischen dem sowjetischen Generalstab
und der Bonner Hardthöhe. Das hat kein Mensch gewusst bisher. Und dann führe ich
die Linie weiter über das Verhältnis Genscher und Schewardnadse; also
Außenminister Genscher und Außenminister Schewardnadse. Und bis in die jüngste
Zeit hinein, als Genscher in Schönefeld, glaube ich, landete; auf dem Flugfeld
stand und Chodorkowski dort aus dem Flugzeug stieg. Und dann eben Genscher
erzählte im Interview, dass er 2,5 Jahre lang, weil er angesprochen worden war
von den Anwälten von Chodorkowski auf seinen alten Kanälen versucht hat – und
das ist ja die eigentliche Botschaft – Putin ein mediales Problem abzunehmen,
nämlich diesen Fall Chodorkowski, der ja in der Presse gegen ihn gespielt wurde.
Und es ist gelungen. Ohne dass irgendjemand davon wusste außer der
Bundeskanzlerin und Alexander Rahr, der ihm dabei geholfen hat.
„Die Bundeskanzlerin spricht Russisch und Putin spricht Deutsch. Also ich sehe
da nicht so pessimistisch in die Zukunft, was auch die deutsche Haltung angeht.
Das Problem für die deutsche Politik ist halt nur, dass die Bundeskanzlerin
natürlich in der CDU Rücksichten nehmen muss auf ein bestimmtes Milieu, das
transatlantisch orientiert ist. Das einfach damit zusammenhängt, dass die CDU
der Träger der Westbindung war nach 1945 und dieses konservative Milieu der CDU
transatlantisch vereinnahmt worden ist.“
Also Genscher hatte Alexander Rahr darum gebeten, ihm bei diesem Prozess zu
helfen. Das ist gelungen. Also eine große Entlastung für Putin, für die
russische Politik und das Thema ist ja auch tot. Chodorkowski interessiert ja
auch gar keinen mehr. Das zeigt ja, dass da über die Jahrzehnte dort Kanäle da
sind, die auch weiterhin benutzt werden. Und die Bundeskanzlerin spricht
Russisch und Putin spricht Deutsch. Also ich sehe da nicht so pessimistisch in
die Zukunft, was auch die deutsche Haltung angeht. Das Problem für die deutsche
Politik ist halt nur, dass die Bundeskanzlerin natürlich in der CDU Rücksichten
nehmen muss auf ein bestimmtes Milieu, das transatlantisch orientiert ist. Das
einfach damit zusammenhängt, dass die CDU der Träger der Westbindung war nach
1945 und dieses konservative Milieu der CDU transatlantisch vereinnahmt worden
ist. Ich sage das ganz neutral. Das hing von den politischen Verhältnissen ab im
Kalten Krieg und von den Institutionen, die man gemeinsam gebildet hat und
vielerlei anderen Dingen mehr. Aber das ist genau das konservative politische
Milieu in Deutschland, das früher zu Preußens Zeiten und zu Bismarcks Zeiten der
Träger der deutsch-russischen Zusammenarbeit war. Es gibt einige aus diesem
Milieu, insbesondere ältere Politiker, die diesen Gedanken der
deutsch-russischen Verständigung weiterführen. Also Peter Gauweiler zum
Beispiel. Seine Rede am Aschermittwoch in Passau beim Politischen Aschermittwoch
war ja sehr eindeutig in Gegenwart des russischen Generalkonsuls. Willy Wimmer
äußert sich in dieser Richtung, Jürgen Todenhöfer wo immer es geht und
insbesondere auch andere ältere Staatsmänner wie Helmut Schmidt, aber auch
Helmut Kohl und schließlich auch Gerhard Schröder.
Also da ist schon Bewegung drin in dem Ganzen, aber die Bundeskanzlerin hat
natürlich diese Zwänge, dass sie auf der einen Seite in ihrer Partei diese
transatlantischen Kräfte hat und auf der anderen Seite innerhalb der
Europäischen Union natürlich auch unterschiedliche Interessenlagen hat. Und die
deutsche Politik muss ja, weil wir nun einmal das ökonomisch stärkste Land in
der EU sind, auf einem Wege der Annäherung an Russland alle Partner in der
Europäischen Union mitnehmen. Und das ist nicht einfach. Also der Versuch der
drei Außenminister des ‚Weimarer Dreiecks‘ am 21. Februar war ja schon einmal so
ein Ansatz. Polen ist da mit dabei gewesen; Sikorski, der polnische
Außenminister. Und dieser Ansatz muss auch weiter verfolgt werden. Insofern kann
man auch nur an die russische Politik appellieren, sich diesen Schwierigkeiten,
die Deutschland hat, bewusst zu werden. Und nicht etwa auch Dinge zu tun, die
man lieber nicht tun sollte. Das immer mit einzukalkulieren: Wenn wir das
gemeinsame Ziel erreichen wollen, nämlich diesen Wirtschaftsraum von Lissabon
bis Wladiwostok, dann müssen wir all das, was wir tun, diesem Ziel unterordnen.
Antikrieg TV: Spiegelt sich das transatlantische Übergewicht auch in den
Medien wieder?
Jochen Scholz: Also in den Medien ist das für mich ziemlich eindeutig,
dass die doch eher transatlantisch orientiert sind. Da muss man gar nicht bösen
Willen unterstellen, sondern das ist einfach die Prägung der führenden
Journalisten. Und wie solche Prägungen zustande kommen hat ja der Uwe Krüger,
der an der Uni Leipzig tätig ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der
Abteilung Journalistik. Der hat seine Doktorarbeit darüber geschrieben über die
Alphajournalisten und ihre transatlantischen Beziehungsgeflechte. Da hat er das
sehr schön dargestellt, wie so etwas zustande kommt. Ich kann das an einem
Beispiel einmal verdeutlichen: Wenn Sie sich die Entwicklung von Josef Joffe
anschauen. Josef Joffe hat als junger Mann bei der Zeit angefangen als
Journalist. Er hat in Amerika teilweise studiert. Er ist von der Zeit dann 1985
zur Süddeutschen gegangen und hat dort bis zum Jahre 2000 das Ressort
Außenpolitik geleitet, hatte engste Beziehungen zu transatlantischen Kreisen
sowohl in Deutschland als auch in den USA, hat zwischendurch auch einmal eine
Gastprofessur in Harvard gehabt. Und er hat natürlich in seiner
Außenpolitikredaktion der Süddeutschen entsprechend Gleichgesinnte nachgezogen.
Und einer der Gleichgesinnten heißt Stefan Kornelius, der heute das Ressort
Außenpolitik leitet. Und was das bedeutet, das sieht man ja an der
Kommentierung, an der Berichterstattung der Zeit. Das geht ja so weit, dass
Redakteure aus dem Bereich internationale Politik oder Außenpolitik wie der
Jochen Bittner, dass die in der New York Times deutsche Politik in einer Art und
Weise kritisieren, wo ich nur sagen kann: Das ist unterhalb der Gürtellinie. So
nach dem Motto: ‚Die Deutschen sind pazifistisch versaut. Die lassen lieber die
anderen die Kastanien aus dem Feuer holen.‘ Das ist so der Tenor gewesen. Und
das ist eben nicht nur auf die Zeit und die Süddeutsche beschränkt, sondern das
sieht man in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung genauso. Also die massiven
Versuche, die deutsche Öffentlichkeit so zu beeinflussen, weil sie merken, dass
die Bevölkerung mehrheitlich anders denkt und wahrscheinlich auch die Mehrheit
ihrer Leser das denkt. Jedenfalls wenn man die Leserzuschriften auf der
Onlineseite sieht. Da ist ja auffällig, dass bei dem Thema Ukraine/Russland die
Zahl der Zuschriften signifikant höher ist als bei allen anderen Themen. Und
etwa 80% der Leute, die da schreiben, das kritisieren was die FAZ dort macht.
Gleichwohl versuchen sie immer wieder dagegen anzuschreiben. Und die
öffentlich-rechtlichen Fernsehsender da müssen wir uns gar nicht darüber
unterhalten, weil dort der Einfluss über die Rundfunk- und Fernsehräte, die ja
auf vielfältige Weise mit der Politik und den politischen Parteien verbunden
sind. Wo zusammen Politik gemacht wird über die Fernsehsender. Ich kann nur
sagen, was der Herr Kleber da veranstaltet hat im ZDF, das war schon absurdes
Theater. Und man kann Herr Kaeser nur gratulieren, wie souverän er ihn hat
abfahren lassen. Allein die Fragestellung – ich weiß nicht, wer das gesehen hat;
das kann man ja im Internet noch einmal aufrufen – so nach dem Motto: ‚Wie
können Sie in dieser Situation zu Putin fahren?‘ Dach fragt ein Journalist einen
Konzernchef (lacht) eines Weltunternehmens, der natürlich dann logischerweise an
seine Geschäfte denkt. Woran denn sonst? Das ist ja der Zweck seiner Firma.
Sozusagen nach dem Motto: ‚Wie können Sie in solch einer Situation an Ihre
Geschäfte denken?‘ Das ist völlig absurd. Was die Meinungen der
Mehrheitsbevölkerung hier in Deutschland wiedergibt, das findet sich dann eben
in kleineren Zeitungen: In Der Freitag, in der Jungen Welt, teilweise auch in
der taz. Aber deren Einfluss ist natürlich relativ begrenzt und deren
Leserschaft ist auch relativ begrenzt.
Antikrieg TV: Was kann man tun, um die Menschen zu informieren, und in
politische Prozesse einzugreifen?
Jochen Scholz: Ich glaube, dass die Situation nicht so ist, dass man sehr
viele Leute erreichen kann, die jetzt in irgendeiner Weise aktiv werden. Dazu
bedarf es immer Anlässe, die sehr viele Menschen berühren und dann eben auch ein
eigenes Agieren bewirken können und hervorrufen. Wir hatten ja ein Beispiel 2003
als es um den Irak-Krieg ging. Da waren ja hier in Berlin fast 800.000 Menschen
bei dieser Demonstration. Aber natürlich auch nur deswegen, weil die
Regierungsparteien SPD und Grüne und die Gewerkschaften dazu aufgerufen haben.
Und so eine Situation haben wir noch nicht. Und ich hoffe auch nicht, dass es
sich ergibt. Denn das wäre ja wirklich erst der Fall, wenn es zu militärischen
Auseinandersetzungen käme. Dann wäre sicherlich so eine Situation da, wo die
Menschen sagen: ‚Da müssen wir jetzt etwas dagegen tun.‘ Ansonsten sind die
Möglichkeiten des Einzelnen relativ beschränkt. Man kann Leserbriefe schreiben,
man kann online sich äußern in den Zeitungen. Man kann natürlich im
Bekanntenkreis versuchen, Bewusstsein zu wecken. Die Schwierigkeit ist nur, dass
viele Menschen die Zusammenhänge zwischen der Geopolitik, die ich vorhin
geschildert habe und den Ereignissen in der Ukraine nicht herstellen können.
Weil sie auch die Zeit nicht haben, sich über so etwas zu informieren.
Man muss ja immer wissen: Der Normalbürger hat eine Familie, hat Kinder. Der
muss einem Broterwerb nachgehen. Wie viel Zeit bleibt dem eigentlich noch, um
sich zu informieren? Also worauf verlässt er sich? Auf das, was ihm in unseren
Medien angeboten wird. Und mehr Möglichkeiten hat er in der Regel nicht. Und das
ist die Schwierigkeit. Also auch solche Zusammenhänge zu vermitteln. Der
Zusammenhang zwischen der neuen Seidenstraße, dem Besuch des chinesischen
Präsidenten in Duisburg, den Verabredungen der BRICS-Staaten, den Dollar unter
Druck zu setzen als Weltleitwährung oder zu – wie sagt man auf Neudeutsch? – zu
bypassen. Diese Zusammenhänge muss man sich ja erst einmal erarbeiten, sonst
begreift man nicht, worum es da wirklich geht. Insofern weiß ich nicht, ob die
Zeit schon reif ist, dass die Menschen viel machen können. Wir haben es jetzt
bei den Ostermärschen gesehen: So überragend und überwältigend war das nicht.
Die Menschen gehen dann halt lieber zum Alexanderplatz zu diesem entsetzlichen
Rummel dort, der Weihnachten, Ostern, Herbst und zu allen Jahreszeiten immer der
selbe ist.
Antikrieg TV: Was für Konsequenzen hätte ein NATO-Beitritt der Ukraine,
und könnte durch radikale Kräfte ein Bündnisfall ausgelöst werden?
Jochen Scholz: Der NATO-Bündnisfall – mit Blick auf die Ukraine – der
kann nur ausgelöst werden, wenn ein Mitgliedsland von einem Angriff betroffen
ist. Die Ukraine ist nicht Mitglied der NATO und wird auch nie NATO-Mitglied
werden. Und zwar ganz einfach deswegen, weil in der NATO für einen NATO-Beitritt
ein einstimmiger Beschluss aller Mitglieder gefasst werden muss. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass Deutschland oder Frankreich zustimmen. Also insofern ist
die Gefahr, dass die Ukraine als NATO-Mitglied dann zum Mittel eines Konfliktes
benutzt wird, die ist relativ gering. Und dann darf man auch nicht vergessen,
dass wenn wir von einem Konflikt zwischen NATO und Russland sprechen, noch ist
Russland eine Atommacht. Deswegen gelten im Grunde die gleichen Prinzipien des
Kalten Krieges, nämlich das Prinzip der Abschreckung. Also der Raketenschirm ist
ja noch nicht so entwickelt, dass er jetzt schon geeignet wäre, das russische
Potenzial zu neutralisieren. Und so einen Atomkrieg riskiert niemand. Auch ein
Wolfowitz nicht. Ich nehme den jetzt nur einmal als Namen, als Beispiel für die
Neocons in den USA. Insofern ist auch viel Getöse da, aber in der Realität wird
man nicht diesen Schritt gehen um einen Atomkrieg zu riskieren. Das kann man
wohl ausschließen. Das hat Chruschtschow 1962 nicht getan auf Kuba, sondern er
hat mit Zugeständnissen der USA, von Kennedy damals, den Rückzug angetreten.
Also die Zugeständnisse der USA waren der Abbau der Raketen in der Türkei auf
westlicher Seite und Chruschtschow hat seine Raketen aus Kuba zurückgezogen,
weil beide Seiten gemerkt haben: Das eskaliert und wenn es eskaliert, dann
bricht die Hölle los. Daran hat sich ja nichts geändert, wenn zwei große
Atommächte sich gegenüber stehen.
Antikrieg TV: Ist damit zu rechnen, dass sich die Sanktionspolitik gegen
Russland noch verschärft?
Jochen Scholz: Wenn man jetzt sieht – wenn das der Wahrheit entspricht,
was die New York Times dort berichtet hat – neue Containmentpolitik gegenüber
Russland. Da hat der Berate ihm gegenüber gesagt: ‚Wir wollen sogar versuchen,
China dafür zu gewinnen, für diese Isolation Russlands.‘ Das ist natürlich
völlig absurd. Diese Isolation wird nicht gelingen. Und wenn man dann merkt,
dass diese Isolation nicht gelingt, was bleibt dann noch? Da muss man sich den
Gegebenheiten anpassen. Und eine militärische Eskalation würde zwangsläufig zu
einem Atomkrieg führen. Ich glaube, das wollen die schlimmsten Krieger in den
USA nicht. Und deswegen bin ich da, was die militärische Seite angeht, relativ
gelassen. Auch was die NATO jetzt macht. Wenn wir noch drei oder vier oder fünf
Eurofighter in die baltischen Staaten verlegen – Das sind ja Jagdflugzeuge, die
machen ‚Airpolicing‘, also die überfliegen den Luftraum, weil die baltischen
Staaten keine eigene Luftwaffe habe. Das machen wir eben seit fünf oder sechs
Jahren schon. Die deutsche Luftwaffe ist ja auch regelmäßig für ein halbes Jahr
dort und macht das, was bei uns unsere Jagdflugzeuge für Deutschland machen,
machen die halt für die baltischen Staaten als NATO-Mitglieder, weil die keine
eigenen Jagdflugzeuge haben und keine eigene Luftwaffe haben. Aber mehr ist das
ja auch nicht. Das sind alles nur so Signale und natürlich auch an die
Bevölkerung der baltischen Staaten. Das will ich ja gar nicht ausschließen, dass
es dort auch Befürchtungen gibt. Die werden ja auch geschürt. Und um zu sagen:
‚Seid ruhig! Die NATO ist da und schaut nach dem Rechten.‘ Um ein Gefühl der
Beruhigung auszulösen. Mehr ist das ja alles nicht. Und wenn die Bundesmarine
mit einem Tender namens ‚Emden‘, das ist ja kein Kriegsschiff in dem Sinne. Und
diese Übung ist ja eine Minenräumübung in der Ostsee; auf dieser ‚Emden‘ wird ja
Operation dieser Übung koordiniert. Das ist ja auch keine aggressive Handlung.
Da muss man die Kirche auch ein bisschen im Dorf lassen. Und noch, was da so
berichtet wurde, sind die Amerikaner noch nicht mit ihren Kampfbrigaden aus
Vicenca und aus Deutschland irgendwo nach Ostpolen verlegt worden. Das sind so
Spielchen, die man da macht. Wobei solche Spielchen auch immer ihre Gefahren
beinhalten. Wir kennen das: 1914. Die Bündnissysteme und die Automatismen, die
da abliefen. Es ist immer ein Spiel mit dem Feuer.
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