06.08.2016 04:00 Die Links-Rechts-Demagogie -
Ein Interview mit Rainer Mausfeld
Die NachDenkSeiten beschäftigen sich von Beginn an mit dem
Thema Manipulation und mit der Frage, wie man sich davor schützen kann. Ein
großer Experte dafür ist auch Professor Mausfeld. Ihn hatten wir im vergangenen
Sommer mit den NachDenkSeiten-Leserinnen und Lesern
bekannt gemacht. Jens
Wernicke hat ihn jetzt aus aktuellem Anlass
ein zweites Mal für die NachDenkSeiten interviewt... [Quelle: nds.de]. JWD
Quelle: KenFm via Youtube | veröffentlicht 05.08.2016
KenFM im Gespräch mit: Prof. Rainer Mausfeld
Wenn es einer sehr kleinen und übersichtlichen Gruppe von Menschen
gelingt, die Massen global und über Jahrzehnte für die eigenen Ziele
arbeiten zu lassen, kann das nur dann erfolgreich bewerkstelligt werden,
wenn diese Eliten die Techniken der Gehirnwäsche auf allen Ebenen
konsequent zur Anwendung bringen. Schon der Umstand, dass Völker sich
für Krieg begeistern lassen, zeigt die Macht dieser Technik.
Seit dem römischen Prinzip „Teile und Herrsche“ haben sich die Werkzeuge
der Gehirnwäsche extrem verfeinert. Ein großer Teil der sogenannten
Sozialforschung wurde im Auftrag der Eliten finanziert, um den Menschen
als Wesen, das nur im Kollektiv überleben kann, im Anschluss in seine
Bestandteile zerlegen zu können - ihn gefügig zu machen.
Der Grad der Manipulation ist viel größer, als die meisten von uns auch
nur ahnen. Aber gerade darin liegt die Macht dieser Elitentechnik.
Massenmedien sind dabei eines der wichtigsten Werkzeuge, um die Realität
zu verschleiern und unsichtbar zu machen. Wer darauf aufmerksam macht,
wird vom System gnadenlos attackiert, lächerlich gemacht und
ausgegrenzt. Das finale Ziel ist immer die Vernichtung derer, die die
Tarnung der Eliten auffliegen lassen.
Der Soziologe Prof. Rainer Mausfeld hat sich intensiv mit den Techniken
der Verschleierung und des Gefügigmachens auseinandergesetzt. Seine auch
im Netz veröffentlichen Vorträge, u. a. mit dem Titel „Warum schweigen
die Lämmer“, wurden zu Blockbustern im Netz. [...]
...weiterlesen
...Sind viele Linke nicht eigentlich verkappte Faschisten? Und viele Rechte nicht
furchtbar progressiv? Ja, ist die Unterscheidung von links und rechts daher
nicht schon lange überholt? Das könnte man glauben, wenn man die
Nazi-Demagogie
betrachtet, die zurzeit durch das Internet schwappt. Oder die Leitartikel des Mainstreams verfolgt. Sahra Wagenknecht etwa sei eigentlich
rechts, ja,
nahe bei AfD und NPD. Und die CDU in den letzten Jahren so weit nach links
gerutscht,
dass sie längst
sozialdemokratisiert sei und ihre „konservativen Werte“ verloren
habe. Worum geht es bei dieser Demagogie? Welche Ziele verfolgt und Interessen
bedient sie? Hierüber sowie über die Mechanismen der diesbezüglichen
Gegenaufklärung und Manipulation sprach Jens Wernicke mit dem Kognitionsforscher
Rainer Mausfeld, der klar analysiert und benennt, worum es bei all den
Nebelkerzen und der damit intendierten Verwirrung tatsächlich geht: unseren
Geist zu vernebeln und Kritik am immer grausamer betriebenen „Klassenkrieg“ von
Reich gegen Arm, den inzwischen selbst der Milliardär und Starinvestor Warren
Buffet als solchen
benennt, unmöglich zu machen.
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Die Links-Rechts-Demagogie. Ein Interview mit Rainer Mausfeld. - Jens Wernicke
im Gespräch mit Prof. Rainer Mausfeld [ 41:04 ] Player verbergen | Play in Popup
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Herr Mausfeld, soeben wurde ein wirklich sehenswertes
Video-Interview mit Ihnen
veröffentlicht, in dem Sie zu den Methoden und Auswirkungen der alltäglichen
Indoktrination sowie zur Frage, wie man sich selbst aus der alltäglichen
Ohnmacht zu befreien vermag, Rede und Antwort stehen. Aber sagen Sie mir: Wenn
Medien dazu dienen sollen, die Bevölkerung über gesellschaftliche Dinge zu
unterrichten, was bedeutet es dann, die Funktionsweise von Medien zu
durchschauen und Indoktrination zu erkennen? Warum ist dies für den „normalen
Menschen“ von Belang und wie kann er dies überhaupt leisten?
Medien stiften Gesellschaft und schaffen und formen erst unser Bild von der
gesellschaftlichen und politischen Realität. Sie schaffen gemeinsame Denkräume,
helfen Erfahrungen in Sinnzusammenhänge zu integrieren und stiften durch eine
Synchronisation der Aufmerksamkeit gemeinsame Erfahrungen. Daher sind sie ganz
zentrale Instrumente zur Organisation und zur Ausübung von politischer Macht.
Folglich gehen politische Kämpfe zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen
Interessengruppen stets mit Bemühungen einher, Zugriff auf die Medien zu
gewinnen. Da jedoch die Einstiegs- und Betreiberkosten im Bereich der
Massenmedien sehr hoch sind, ist es nicht überraschend, dass sie sich
überwiegend im Besitz von Konzernen oder Multimillionären befinden und somit
deren politische Weltsicht und Interessen zu vermitteln suchen.
Dieser Tatsache muss man sich täglich beim Lesen von „Nachrichten“ bewusst sein,
um nicht der naiven Vorstellung zu verfallen, dass Medien uns über die
gesellschaftliche Realität unterrichten würden. Die Leitmedien ebenso wie die
Massenmedien sind Geschäftsmodelle und dienen so wenig der Vermittlung von
„Wahrheit“, wie die Pharmaindustrie der Förderung der Volksgesundheit dient.
Indoktrination gehört zum Wesenskern von Medien.
Wir werden also täglich manipuliert?
Alle Tagesnachrichten sind zwangsläufig hochgradig selektierte Realitätsfetzen,
die ohne eine ausführliche Kontextualisierung gar nicht verständlich sein
können. Eine solche Kontextualisierung erfolgt in den Medien meist
unausgesprochen, das heißt durch die verwendete Sprache, durch affektive
Bewertungen, durch Bilder etc.
Die Merkmale von Propaganda sind dann eindeutig erfüllt, wenn Meinung und
Information in systematischer und für den Leser kaum aufzulösender Weise
vermischt sind. Dies ist bei der Mehrzahl der Tagesnachrichten der privaten und
öffentlich-rechtlichen Leitmedien der Fall. Bereits ihre Darbietung ist also
ideologisch durchtränkt von den politischen und ökonomischen Interessen
derjenigen, die eine Auswahl der Realitätsfetzen treffen, die sie über die
Medien bereitstellen.
In diesem Sinne kann man durchaus sagen, dass wir bereits durch die
strukturellen und ökonomischen Verhältnisse, auf deren Grundlage und in deren
Rahmen Medien operieren, manipuliert werden.
Zu einer solchen Manipulation nutzen Medien ein breites Spektrum unserer
psychischen Bedürfnisse aus. Sie versprechen Unterrichtung über die Welt vor
allem hinsichtlich unserer Sorgen und Ängste, die unsere eigene kleine
Lebenswelt betreffen. Das sind insbesondere politische Ereignisse und
Entwicklungen, die unseren Status quo verschlechtern könnten. Sie befriedigen
unsere Neugierde auf das Fremde und unser natürliches soziales Bedürfnis nach
Klatsch, sie liefern Identifikationsfiguren zur Lebensbewältigung und zur
Ablenkung vom eigenen Alltag. Auf dieser Klaviatur des Menschlichen verstehen
Medien virtuos zu spielen und damit Kapital zu erwirtschaften.
All dies hat mit der Heranbildung mündiger Bürger nicht das Geringste zu tun. Im
Gegenteil: Leitmedien dienen wesentlich dazu, ihren Konsumenten „geeignete“
Interpretationsrahmen für politische Ereignisse, also ganze politische
Weltbilder zu verkaufen; Massenmedien haben durch eine Überflutung mit
Nichtigkeiten im Wesentlichen die Funktion, die Leute von Wichtigerem,
insbesondere von einer gesellschaftlichen Artikulation ihrer eigenen Interessen,
fernzuhalten.
Nur wenn man sich dieser Dinge täglich bewusst ist und sich insbesondere bewusst
ist, dass man sich beim Konsum der von Medien dargebotenen Informationen stets
in einem Manipulationskontext befindet, hat man eine Chance, das von Medien
bereitgestellte Material in angemessener Weise ‚lesen‘, bewerten und auch nutzen
zu können.
Haben Sie vielleicht ein konkretes Beispiel für solche Manipulationen parat?
Die Berichterstattungen zur Ukraine oder zu Syrien sind für jeden, dessen
Urteilsfähigkeit nicht vollständig blockiert ist, besonders augenfällige jüngere
Beispiele für die intellektuelle Korrumpiertheit und für die Schamlosigkeit, mit
der sich die Leitmedien in den Dienst transatlantischer Eliten gestellt haben.
Das Ausmaß der ideologischen Besessenheit, mit der die Leitmedien gegenwärtig
gegen Russland hetzen und mit maßlosen Faktenverdrehungen die aggressive
Globalisierungsstrategie der NATO ideologisch zu rechtfertigen suchen, muss wohl
selbst im historischen Maßstab Vergleichbares suchen.
Besonders gut lässt sich die Indoktrinationsfunktion von Medien im historischen
Rückblick aufzeigen, weil sich im zeitlichen Abstand Realität und Propaganda
leichter trennen lassen. Hier gibt es ein reiches empirisches Material, an dem
sich die Angemessenheit der von den Medien in ihrer Selbstbeschreibung zugrunde
gelegten Kernthese einer weitgehend objektiven und neutralen Berichterstattung –
also ihres Anspruchs, die Bürger umfassend zu informieren und nicht lediglich
politische Indoktrination zu betreiben – nach etablierten wissenschaftlichen
Standards evaluieren lässt.
Für eine solche Evaluation eignen sich besonders Vorgänge und Situationen, über
deren rechtliche und moralische Bewertung im historischen Rückblick ein gewisser
Konsens erreicht werden konnte, seien es der Vietnam-Krieg, der Putsch in Chile
– von den Leitmedien einhellig bejubelt -, der Sturz demokratischer Regierungen
in Guatemala oder Iran, der Einmarsch in den Irak, völkerrechtswidrige
Angriffskriege wie im Kosovokrieg, die Anwendung von Folter, etc., etc.
Zu derartigen Fällen haben Medienwissenschaftler eine Fülle von Analysen zu der
Berichterstattung in den Leitmedien durchgeführt. Im Lichte dieser Analysen wird
die Kernthese des Selbstverständnisses der Leitmedien als „Informationsmedien“
in einer so überwältigenden Weise widerlegt, dass man sich die Frage stellen
muss,
warum sie überhaupt noch als diskutierbare These behandelt wird. Nur durch
aufwendige Indoktrination lässt sich eine solche These nicht nur als
diskutierbare These, sondern als geradezu selbstverständliche Ausgangsprämisse
im öffentlichen Diskussionsraum halten.
Wie kann man sich vor solchen Manipulationen und vor Indoktrination schützen?
Das war gerade eine der zentralen Fragen der Aufklärung. Diese hat hierzu einen
reichen Werkzeugkasten zur Denkmethodologie und zu Instrumenten der
Ideologiekritik bereitgestellt.
Hierzu gehört, politische und gesellschaftliche Fragen, mit denen man
konfrontiert ist, zunächst daraufhin zu untersuchen, woher die Frage eigentlich
kommt, welche Interessengruppen sie formuliert haben und welche ideologischen
Prämissen bereits in der Formulierung der Frage enthalten sind. Denn schon die
Begriffe, in denen Fragen formuliert sind, enthalten ein ganzes Bündel von
unausgesprochenen Vorannahmen, Prämissen und Konsequenzen, die es sorgfältig
aufzuschnüren gilt, bevor man prüft, wie eine Antwort aussehen könnte. Die
Förderung dieser Anleitung zum „Selberdenken“ und „Richtigdenken“ lag im Zentrum
der Bemühungen der Aufklärung, aus „vernunftbegabten vernünftige Menschen“, also
mündige Bürger zu machen.
Dieser mühsam gewonnene Werkzeugkasten des kritischen Denkens wird jedoch in den
wesentlichen politischen Sozialisationsinstanzen unserer Gesellschaft, also in
Schulen und Universitäten, nicht tradiert. Das ist wenig überraschend. Denn ein
solches Denken läuft stets auf eine Machtkritik hinaus und könnte damit den
Status der jeweiligen Machteliten gefährden. Folglich sind nicht nur Medien,
sondern zunehmend auch das gesamte Erziehungs- und Ausbildungswesen zu zentralen
Indoktrinationsinstanzen geworden, in denen vor allem Konformität gefördert und
belohnt wird.
Können Sie an einem konkreten Beispiel aufzeigen, wo und wie in wichtigen
gesellschaftlichen Fragen kritische ideologische Prämissen versteckt sind, die
es bei der Mediennutzung aufzudecken gilt?
Der gesamte Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist im Gefolge des
Neoliberalismus dermaßen verseucht durch eine Orwellsche Umdeutung nahezu aller
relevanten Begriffe, dass man ein ganzes „Falschwörterbuch“ benötigte, um die
sich darin verbergenden ideologischen Vorannahmen aufzuschlüsseln. Im
Neoliberalismus haben sich die Falschwörter zu einem so dichtgesponnenen Gewebe
eines ganzen Weltbildes verwoben, dass es nicht leicht ist, die Realität hinter
dieser Ideologie zu erkennen.
Ein aktuelles Beispiel anderer Art ist der Umgang mit den Problemen, die
gegenwärtig durch Migranten aus Syrien und Afghanistan sowie aus Westafrika
entstehen. Auch hier ist bei der Formulierung dessen, was eigentlich das Problem
ist, sorgfältig darauf zu achten, welche ideologischen Prämissen und
stillschweigenden Vorannahmen sich bereits in der Problemformulierung verbergen.
Denn wer festlegen kann, was als Problem zu gelten hat, kann damit auch den Raum
dessen einschränken, was als mögliche Lösung angesehen werden kann.
Das
Flüchtlingsproblem ist – weil es innen- wie außenpolitisch selbst nur ein
Symptom für sehr viel tieferliegende Probleme ist – so komplex, dass es hierfür
keine einfachen Lösungen geben kann. Folglich ist der Spielraum sehr groß, durch
unterschiedliche Fokussierungen auf verschiedene Teilaspekte zu
unterschiedlichen Haltungen und Wertungen zu kommen. Die daraus resultierenden
Konflikte müssen aber in einer Demokratie nicht nur ausgehalten werden, sondern
gehören geradezu zum Wesensmerkmal einer Demokratie; sie müssen im öffentlichen
Diskurs gelöst werden.
Bei der Formulierung dessen, was eigentlich das Problem darstellt, müssen wir
uns jedoch vor historischen und ideologischen Verkürzungen hüten. Wir sollten
uns also derjenigen Aspekte des Problems bewußt sein, für die „wir“ – also
europäische Staaten und ihre Bürger – politische Verantwortung für die
gegenwärtige Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten tragen. Das
Sykes-Picot-Abkommen von 1916 steht stellvertretend hierfür. Wir haben seitdem
große Teile des Nahen und Mittleren Ostens in seinen gewachsenen kulturellen
Strukturen und in seinen funktionierenden Nationalstaaten zerstört, wir haben
ganze Staaten zusammengebombt, den Islam radikalisiert und in dem Vakuum
Organisationen wie die Taliban und den IS entstehen lassen und sogar gefördert.
Die Probleme, mit denen die Opfer unserer Verwüstungen zu kämpfen haben,
schreiben wir nun ihnen selber zu, da wir unsere Verbrechen – einschließlich des
völkerrechtswidrigen Angriffskrieges auf den Irak – längst dem gezielten
Erinnerungsverlust unserer kollektiven Gedächtnisse überantwortet haben oder sie
gar zu Akten unserer altruistischen „Zivilisationsförderung“ umdeklariert haben.
Mehr als 100 Jahre haben wir Gewalt exportiert – zum ökonomischen Nutzen der
daran beteiligten Täter-Nationen und zur Steigerung des Lebensstandards ihrer
Bevölkerungen. Nun erreichen erstmals einige Konsequenzen unserer Untaten
europäischen Boden, und nun beschweren wir uns darüber, dass die Opfer uns mit
den Folgen unserer Untaten in unserem eigenen Lebensbereich behelligen.
Doch man kann nicht zum eigenen Nutzen Tretminen und Giftgas exportieren und
sich dann darüber beklagen, dass man durch Explosionslärm und Giftgestank
gestört wird. Ein Blick auf die Geschichte sollte also klarmachen, dass man
nicht in internationalem Maßstab Untaten begehen kann und sich dann in
nationalem Rahmen gegen ihre Folgen abschotten kann. Wer dennoch entsprechende
Lösungen vorschlägt, macht sich genau jener Heuchelei und Doppelmoral schuldig,
die man im Falle anderer globaler Akteure zu Recht anprangert.
Wenn, wie Sie sagen, viele der Probleme, mit denen wir gegenwärtig konfrontiert
sind, so komplex sind, dass es keine klaren oder einfachen Lösungen gibt und
geben kann, hat dann nicht auch die historische Unterscheidung von linken und
rechten Haltungen ihre Bedeutung verloren? Geht es dann nicht in erster Linie
darum, pragmatisch konkrete Lösungen für konkrete Probleme zu finden? Einige
Akteure im politischen Spektrum deuten derlei aktuell ja gern einmal an…
Das ist genau die Ideologie, mit der – ziemlich erfolgreich – versucht wird,
demokratische Strukturen durch eine Herrschaft technokratischer Eliten zu
ersetzen. Daniel Bell hatte ja schon 1960 das „Ende der Ideologie“ verkündet und
Francis Fukuyama 1992 gar das „Ende der Geschichte“ durch den Siegeszug des
Kapitalismus. Beide Thesen sind rasch in sich zusammengefallen und haben sich
als das erwiesen, was sie sind: als Versuche, eine Ideologie zu schaffen, mit
der sich der Status der herrschenden Eliten stabilisieren und ihre Macht
vergrößern lässt.
Links und rechts sind ja nicht lediglich – in ihrem Bezug auf die Sitzordnung in
der verfassungsgebenden französischen Nationalversammlung von 1789 – historische
Einteilungen entlang einer eindimensionalen Eigenschaft. Als solche wären sie in
der Tat nicht nur historisch überholt, sondern auch hoffnungslos unterkomplex.
Links steht vielmehr für die normativen moralischen und politischen
Leitvorstellungen, die über den Menschen und über die Möglichkeiten seiner
gesellschaftlichen Organisation in einem langen und mühsamen historischen
Prozess
gewonnen wurden und die in der Aufklärung besonders prägnant formuliert wurden.
Den Kern dieser Leitvorstellungen bildet ein universeller Humanismus, also die
Anerkennung einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen.
Bereits aus dieser Leitvorstellung ergeben sich schwerwiegende und weit
reichende
Folgerungen. Beispielsweise schließt ein universeller Humanismus Positionen aus,
die auf der Überzeugung einer prinzipiellen Vorrangstellung der eigenen
biologischen, sozialen, kulturellen, religiösen oder nationalen Gruppe beruhen;
er schließt also Rassismus, Chauvinismus, Nationalismus oder Exzeptionalismus
aus. Zudem beinhaltet er, dass alle Machtstrukturen ihre Existenzberechtigung
nachzuweisen und sich der Öffentlichkeit gegenüber zu rechtfertigen haben, sonst
sind sie illegitim und somit zu beseitigen.
Aus dem universellen Humanismus ergibt sich also das spezifische Leitideal einer
radikal-demokratischen Form einer Gesellschaft, in der ein jeder einen
angemessenen Anteil an allen Entscheidungen hat, die die eigene ökonomische und
gesellschaftliche Situation betreffen; er schließt also Gesellschaftsformen aus,
die auf einer Elitenherrschaft oder auf einem Führerprinzip beruhen. Diese in
der Aufklärung erstmals klar formulierten Leitideale sind seitdem kontinuierlich
weiterentwickelt und verfeinert worden und stellen den Identitätskern des linken
Projektes dar.
Da diese Leitideale gewaltige politische Konsequenzen haben, wurden sie seit je
auf das schärfste bekämpft; historisch war das der Kern der so genannten
Gegenaufklärung, der es wesentlich um die Wahrung des jeweiligen Status quo
ging. Die Behauptung, eine Links-Rechts-Unterscheidung hätte sich historisch
überlebt, würde also letztlich beinhalten, dass sich die Leitideen einer
prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen und einer ernsthaften
demokratischen Gesellschaftsorganisation überholt hätten – eine These, die
natürlich gerne von denen vertreten wird, deren Macht gerade auf rassistischen,
chauvinistischen, nationalistischen oder exzeptionalistischen Ideologien
basiert.
Wenn, wie Sie sagen, links und rechts gesellschaftliche und politische Gegenpole
bilden, wie kann es dann eine Querfront geben und wie können Linke tatsächlich
oder vermeintlich „rechts-offen“ sein? Oder stellen diese Begriffe auch nur
Propaganda dar, um Linke zu diskreditieren? Wenn ja, was sind dann die Gründe
hierfür?
In der Sache sind links und rechts in der Tat Gegenpole und können daher in der
Substanz so wenig Berührungspunkte miteinander haben wie Aufklärung und
Gegenaufklärung oder wie Demokratie und Elitenherrschaft. Blickt man jedoch
statt auf die Sache auf die Ebene einzelner Personen oder auf die Ebene
konkreter politischer Gruppierungen, die sich als links bezeichnen, so lassen
sich aus naheliegenden Gründen alle möglichen Konstellationen von Haltungen
finden, die in der Sache völlig unvereinbar miteinander sind.
Das war auch zur Zeit der Aufklärung nicht anders. Beispielsweise gilt der große
schottische Philosoph David Hume als zur Aufklärung gehörig; gleichwohl sah er
Schwarze „von Natur aus den Weißen unterlegen“ an, vertrat also rassistische
Auffassungen. Auf der Ebene einzelner Personen können also Überzeugungen
gleichzeitig nebeneinander bestehen, die in der Sache völlig unverträglich
miteinander sind. Das ist eine Konsequenz unserer beschränkten Rationalität und
anderer Eigenschaften unseres Geistes. Wir sind oft nicht in der Lage zu
erkennen, dass einige unserer Überzeugungen in der Sache miteinander
unverträglich sind. Beispielsweise können uns bestimmte Affekte daran hindern,
derartige Unverträglichkeiten zu bemerken.
So war Hume einerseits von den Leitidealen der Aufklärung fasziniert; zugleich
vertrat er – weil er eine mögliche Gefährdung seiner eigenen privilegierten
Lebensform fürchtete – ein gesellschaftliches Weltbild, das die damalige
gesellschaftliche und kolonialistische Praxis rechtfertigte. Doch auch unter
denjenigen, die sich aufrichtig und konsequent der radikalen Aufklärung und den
genannten Leitidealen verpflichtet fühlten, fanden sich zahlreiche, die Bedenken
hatten, das Volk über diese Leitdeale aufzuklären, weil sie fürchteten, durch
den dadurch möglicherweise ausgelösten gesellschaftlichen Transformationsprozess
Nachteile hinsichtlich ihres privilegierten Status quo zu erleiden. Erst kommt
bei den Privilegierten eben die Sicherung des eigenen gesellschaftlichen Status
quo, dann kommt die Moral.
Wir müssen also die sachliche Ebene moralischer und politischer Leitideale klar
von einer personellen Ebene trennen. Man wird dann auch innerhalb von
Organisationsformen, die sich als links verstehen, Personen finden, die
Überzeugungen vertreten, die den genannten Leitidealen widersprechen. Es gibt
also Personen, die sich als links bezeichnen und gleichwohl chauvinistische,
nationalistische oder kulturell-rassistische Positionen vertreten und
ideologische Prämissen von Kapitalismus, Neoliberalismus, Neo-Imperialismus und
ähnliches teilen. Das wird umso stärker der Fall sein, je stärker Personen in
ihrem gesellschaftlichen Status und in ihren Privilegien von der jeweiligen
gesellschaftlichen Ordnung profitieren. In solchen Fällen neigen dann auch sich
als links verstehende Personen dazu, die jeweiligen gesellschaftlichen
Verhältnisse grundsätzlich zu akzeptieren und eine linke Perspektive auf
moderate Reformen an den jeweiligen Verhältnissen zu beschränken.
Noch einmal: In der Sache kann es im Kern keine Berührungspunkte zwischen links
und rechts geben; auf der Ebene individueller Personen und Gruppierungen ist
jedoch so ziemlich alles an Kombinationen politischer Einstellungen möglich.
Auch hier bedarf es einer kontinuierlichen Aufklärungsarbeit, um die
Unverträglichkeiten bestimmter politischer Überzeugungen mit den Leitidealen der
Aufklärung und somit mit dem Kern des linken Projektes aufzuzeigen.
Warum aber wird gerade jetzt die Linke so durch Vorwürfe wie Querfront oder
rechts-offen unter Beschuss genommen? Ich habe alles andere als den Eindruck,
dass alle hier Angefeindeten wirklich rechts, geschweige denn eine Bedrohung für
gesellschaftliche Werte oder Demokratie darstellen. Ganz im Gegenteil scheint es
hier oft eine unglaublich aufgeladene Debatte zu geben, die, wie mir scheinen
will, radikale Kritik, ja, wenn ich so sagen darf, zunehmend totzuschlagen
versucht…
Auch an der Linken ging die tiefgreifende neoliberale Indoktrination mit ihrer
ideologischen Kernthese der Alternativlosigkeit der gegenwärtigen Verhältnisse,
gelinde gesagt, nicht spurlos vorüber. Diese Ideologie wurde gleichsam zu einer
selbsterfüllenden Prophezeiung, da offensichtlich auch in der Linken der
Denkraum möglicher Alternativen radikal schrumpfte und ihre Anliegen zunehmend
zu einer reformistischen Perspektive verkümmerten.
Quelle: nds.de (verlinkt)
Je stärker sie sich im Rahmen des gegenwärtigen neoliberalen Konsenses weniger
als Opposition, sondern eher als mitgestaltende politische Kraft versteht oder
verstehen möchte, umso mehr ist sie in Gefahr, dem Irrglauben zu erliegen,
soziale Reformen könnten gleichsam symbiotisch im Konsens mit den herrschenden
Eliten durchgesetzt werden.
Wir sollten stets in Erinnerung behalten, dass es gerade
reformistisch-sozialistische und sozialdemokratische Parteien waren und sind,
die in Europa das neoliberale Projekt am konsequentesten vorangetrieben und
rechtlich verankert haben. Die notwendigen Konsequenzen daraus lassen sich nur
ziehen, wenn die Ursachen für das Scheitern der – oft zunächst sehr
vielversprechenden – linken Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte unter diesem
Aspekt sehr viel genauer analysiert würden.
Zu Ihrer Frage, warum die Linke gegenwärtig einen so heftigen
Selbstzersetzungsprozess betreibt, kann ich nur Mutmaßungen anstellen. Lange
historische Erfahrungen lehren uns ja, dass die Linke naturgemäß – da sie ja
gerade auf eine Delegitimierung von Machteliten zielt – seit je im Zentrum von
Zersetzungsbemühungen durch die jeweils herrschenden Eliten steht, die stets
großen Aufwand betrieben haben, linke Bewegungen und überhaupt alle politischen
Organisationen der Verlierer der jeweils herrschenden Ordnung zu spalten,
auszuzehren und zu neutralisieren.
Insofern sind die neueren „Querfront-Attacken“ nicht sonderlich überraschend.
Interessant ist jedoch, dass diese Attacken zu einem Zeitpunkt an Intensität
zugenommen haben, an dem weite Teile der politisch organisierten Linken sich in
einer reformistisch-symbiotischen Beziehung zu den herrschenden
Machtverhältnissen eingerichtet haben.
Dadurch ist die Linke mehr als zu früheren Zeiten mit einem tiefgehenden
Identitätsproblem konfrontiert. Gerade Gruppierungen, die ihre Ziele auf das
beschränken, was auf reformistisch-symbiotischem Wege als erreichbar angesehen
wird, haben ihre Leitideale und damit ihre eigenen Wurzeln verloren. Nur zur
Erinnerung: Ein universeller Humanismus und das sich daraus ergebende Leitideal
einer gerechten und menschwürdigen demokratischen Gesellschaft sind mit einer
kapitalistischen Wirtschaftsform nicht verträglich. Demokratie in einem
ernsthaften Sinne und Kapitalismus schließen sich aus.
Parteien im linken Teil des politischen Spektrums erfüllen jedoch für die
herrschenden Eliten eine wichtige Stabilisierungsfunktion. Nur sie können die
Verlierer der herrschenden Wirtschaftsordnung, deren Interessen sie ja zu
vertreten vorgeben, in einen politischen Konsens einbinden, wodurch der Status
der herrschenden Eliten stabilisiert wird. Dafür werden ihre Vertreter dann mit
geeigneten Privilegien und mit einem Platz an den Katzentischen im Palais der
Machteliten belohnt. Damit die Parteien diese Pazifizierungsfunktion für die
Klasse, deren Interessen zu vertreten sie vorgibt, erfüllen können, muss
natürlich sichergestellt werden, dass in ihnen nicht Kräfte Einfluß gewinnen,
die sich tatsächlich für die Interessen der Bevölkerung einsetzen – also für
eine gerechtere und wirklich demokratische Gesellschaft.
Für die Neutralisierung der Vertreter ernsthaft linker Positionen sind
Ausgrenzungskriterien wichtig, die für die Öffentlichkeit zumindest
vordergründig eine gewisse Plausibilität haben. In der Sache ist der Spielraum
für solche Ausgrenzungskriterien sehr beschränkt und reicht kaum darüber hinaus,
die genannten Leitideale als utopisch, unrealistisch oder weltfremd zu
diffamieren. Eine solche Diffamierung ist bereits eine recht wirksame Methode,
den öffentlichen Denkbereich auf „vernünftige“, also systemstabilisierende Ziele
zu begrenzen. Sehr viel wirksamer lässt sich jedoch eine Ausgrenzung und Ächtung
radikalerer Positionen aus diesem Spektrum dadurch erreichen, dass man auf die
persönliche Ebene wechselt und Vertreter solcher Positionen, die Spielraum für
solche Angriffe bieten könnten, durch Diffamierungen, Anspielungen, üble
Nachrede, Gerüchte, Verleumdungen oder Rufmord zu diskreditieren sucht.
Es ist daher besonders erhellend zu untersuchen, von wem diese Attacken ausgehen
und gegen wen sie sich richten. Die Systematik hierbei scheint recht offenkundig
zu sein: Die „Querfront“- und „Rechtsoffen“-Vorwürfe gehen fast stets von
Vertretern der reformistischen „system-offenen“ Linken aus und richten sich
überwiegend gegen Personen, die in ernsthafter Weise gegenwärtige
Machtverhältnisse hinterfragen und sich für eine gerechtere und wirklich
demokratische Gesellschaft einsetzen. Denn diese Personen gefährden nicht nur
die Erfüllung der systemstabilisierenden Funktion der
reformistisch-symbiotischen Linken, sondern erinnern diese auf psychologischer
Ebene auch immer wieder an deren Verrat ihrer eigenen Leitideale. Das erklärt
vielleicht die Verbindung von Aggressivität, intellektueller Dürftigkeit und
Verworrenheit und moralischer Heuchelei, die ein charakteristisches Merkmal
solcher Kampagnen ist.
Es gibt Themen, bei denen sich Kritik von links und Kritik von rechts auf
vordergründig gleiche Ziele richtet: etwa Medien, die Rolle der EU oder die
Rolle der USA. Was bedeutet das? Kann es dafür Gründe etwa strategischer Art
geben? Wie geht man damit um? Wird durch vordergründig gleiche Ziele linke
Kritik plötzlich rechts?
Auch hier muss man wieder, bevor man eine Antwort zu geben versucht, untersuchen,
was eigentlich die Frage ist und welche stillschweigenden Prämissen in ihr
verborgen sind. Wir neigen nämlich von Natur aus dazu, in unserem Denken dem
Banne des Wortes zu erliegen. Das gilt im politischen Bereich noch viel mehr und
stellt geradezu die Grundlage von Propaganda dar.
Wenn wir Wörter oder Wortverbindungen wie „Kampf um Demokratie und
Menschenrechte“ oder „humanitäre Intervention“ hören, fällt es uns manchmal
schwer, das tatsächlich damit Gemeinte hinter der Oberfläche der Wörter zu
identifizieren. Wir sind also im politischen Bereich stets darauf angewiesen,
bei allen Begriffen die ideologischen Vorannahmen und Prämissen zu
identifizieren, die mit ihnen einhergehen. Ohne eine solche gedankliche Arbeit
laufen wir Gefahr, dem bloßen Wortgeklingel zum Opfer zu fallen. Das gilt auch
für die Frage, ob es ernsthafte, gemeinsame Ziele zwischen linken und rechten
Perspektiven geben kann.
Wenn wir von rechter Seite Wörter wie „Medienkritik“ oder „Kritik der EU“ oder
„anti-imperialistische Kritik der USA“ vernehmen, sind wir versucht zu meinen,
dass die Art der Kritik und die Art des Zieles, auf das sie sich richtet,
möglicherweise mit linken Anliegen übereinstimmen könnte. Es lässt sich jedoch
leicht aufzeigen, dass aus linker Perspektive darunter jeweils etwas grundlegend
Anderes zu verstehen ist als aus rechter Perspektive.
Es ist nämlich konstitutiv für die rechte Perspektive, dass sie das normative
Ideal einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen mit all seinen
Implikationen rigoros zurückweist und eine radikal nationalistische,
chauvinistische und rassistische Haltung – ihr Rassismus tarnt sich nur dürftig
durch ihr Konzept des „Ethnopluralismus“ – vertritt. Ihr Gesellschaftsideal ist
das einer kulturell homogenen und hierarchisch-elitär organisierten
Volksgemeinschaft, in die sich der Einzelne einzufügen und der er sich
unterzuordnen habe. Ihr Hauptgegner ist folglich gerade die
„Humanitätsideologie“ der Aufklärung und damit alles linke Gedankengut, das zu
einer „weltanschaulichen Entwurzelung“ und zu einer Schwächung der „gewachsenen
Ordnung der ethnischen Volksgemeinschaft“ und somit der „nationalen Identität“
geführt habe. Es kann also weder in den Zielen noch in den Mitteln
Gemeinsamkeiten zwischen dem linken und dem rechten Projekt geben.
Auch auf einer rein strategischen Ebene der Erreichung gänzlich unstreitiger
Ziele läßt sich angesichts der vollständigen Unverträglichkeit der Leitideale
und Vorstellungen über gesellschaftliche Ziele keine Art der Kooperation
rechtfertigen. Das ist eine Einsicht, die in der Linken in anderen Fällen einer
grundlegenden Unverträglichkeit von Zielen völlig unstreitig wäre. Eine
strategische Kooperation linker Bewegungen etwa mit Monsanto oder Nestlé, um
gemeinsam gegen „den Hunger“ in der Welt zu kämpfen, oder etwa mit der
Bill-Gates-Stiftung, um gemeinsam gegen „Gesundheitsprobleme“ in der Dritten
Welt zu kämpfen, oder mit dem
National Endowment for Democracy, um gemeinsam für
„Demokratie“ zu kämpfen, ist kaum sinnvoller, als mit Bomben für „die
Menschenrechte“ zu kämpfen.
Bereits die Idee solcher Kooperationen resultiert aus gedanklichen Verwirrungen
und Konfusionen darüber, worum es wirklich geht. Es bleibt also Aufgabe des
linken Projektes, im Einklang mit dessen Leitidealen seine eigenen Ziele zu
verfolgen und sich dabei nicht durch scheinbare Gemeinsamkeit auf der Oberfläche
der Wörter irreführen zu lassen.
Derartige Konfusionen werden jedoch auch innerhalb der Linken gezielt vonseiten
einer reformistischen „system-offenen“ Linken gefördert, um Kritikbereiche, in
denen eine grundlegende Kritik die Stabilität der herrschenden Eliten gefährden
könnte, aus dem Bereich “vernünftiger“ und “verantwortlicher“ Positionen
auszugrenzen.
Neusprech
Bedeutung
Kommentar
Arbeitgeber
= Arbeitnehmer
und umgekehrt
betriebsneutrale Kündigungen
= Vorruhestand mit entsprechenden Renteneinbußen
Bildungskommunikation
= Markenwerbung an Bildungseinrichtungen durch Sponsoring
Eingriffskräfte/Einsatzkräfte
= Angriffsarmee
Einsatzlage
= Krieg (in Afghanistan)
Eliteförderung
= Bildungsabbau
Entsorgungspark
= Mülldeponie
Flexibilität, Deregulierung
= Aufgabe sicherer Arbeitsverhältnisse
der suggerierte „Befreiungsschlag“ nützt nur den
Unternehmern bzw. den Renditenehmern
freie Marktwirtschaft
= Großkonzerndiktatur bzw. Börsendiktatur
Fortbildung
= Werbe- veranstaltung
z.B. von Pharmaunternehmen, bei Friseurprodukten etc.
Was täte politisch Ihrer Meinung nach am meisten Not? Was stünde, im Kampf gegen
den Neoliberalismus und das durch diesen
forcierte Ende der Demokratie, Ihrer
Meinung nach gerade als Wichtigstes auf der politischen Agenda?
Der Neoliberalismus zielt ja darauf, uns im Denken und Fühlen zu entmündigen und
uns so – möglichst ohne sichtbare Gewalt – für die Interessen herrschender
Eliten zu verzwecken, also verwertbar zu machen. Folglich muss unsere vorrangige
Aufgabe darin bestehen, Autonomie zurückzugewinnen – Autonomie im Denken und
Autonomie im Fühlen. Nur so können wir auch wieder Spielräume für eine Autonomie
im Handeln und damit für eine Verfolgung unserer eigenen gesellschaftlichen
Interessen gewinnen. Das wird nicht ohne kontinuierliche Denkarbeit möglich sein
und auch nicht ohne ein größeres Zutrauen in unsere natürliche Befähigung zur
Moralität, also zu Urteilen über Verletzungen elementarer moralischer
Prinzipien, etwa über Verteilungsgerechtigkeit.
Die lange Geschichte des linken Projektes stellt uns klar formulierte
gesellschaftliche Leitideale bereit, und es gibt keine stichhaltigen Gründe,
dass eine Annäherung an diese Leitideale außerhalb dessen läge, was dem Menschen
aufgrund der Beschaffenheit seines Geistes möglich ist. Wenn wir uns diese
Leitideale und Zielvorstellungen wieder stärker in Erinnerung rufen, können sie
uns wieder Hoffnung geben, dass die Dinge änderbar sind und auch wieder stärker
die Begeisterung und Leidenschaft auslösen, die nötig ist, um beständig für ihr
Erreichen zu kämpfen. Die vorrangige Aufgabe sehe ich dabei darin, die
mittlerweile verheerende gesellschaftliche Fragmentierung und die mit ihr
einhergehende politische Lethargie zu überwinden und aufzuzeigen, dass es
gangbare Wege gibt, die vom jetzigen Zustand zu einem wünschenswerteren
gesellschaftlichen Zustand führen können.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Rainer Mausfeld, geboren 1949, studierte Psychologie, Mathematik und Philosophie
in Bonn. Er ist Professor für Allgemeine Psychologie an der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und arbeitet im Bereich der
Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung.