06.10.2015 17:50 Moskau und Washington wollen die
internationalen Beziehungen umgestalten
Während die Medien der Nato-Länder krank sind, befallen von
einem plötzlichen Ausbruch antirussischen Fiebers, deutet Thierry Meyssan den
russischen Militäreinsatz in Syrien als ersten Schritt zu einer Totalüberholung
der internationalen Beziehungen. Ihm zufolge geht es nicht darum, ob Russland
die Arabische Republik Syrien vor den Dschihadisten retten wird, sondern ob
seine Armee die der Vereinigten Staaten in der Region teilweise ersetzen kann,
um dort die Sicherheit zu gewährleisten... [Quelle:
voltairenet.org] JWD
Von Thierry Meyssan | Voltaire Netzwerk |
Damaskus (Syrien) | 5. Oktober 2015
...Gestützt auf ein internes Dokument
des Sicherheitsrates bestätigt er [Thierry Meyssan], dass Wladimir Putin
und Barack Obama in gegenseitigem Einverständnis gegenüber den US-amerikanischen
liberalen Falken und den Neokonservativen handeln.
Quelle: voltairenet.org (verlinkt)
In New York haben Barack Obama und Wladimir Putin einen
Friedensprozess für ganz Nordafrika und den Nahen Osten verabredet.
Werden sie das Versprechen halten?
Russland lässt sich Zeit bei den Vereinten Nationen. Seine Führung ist
überzeugt, dass die terroristischen islamistischen Gruppen seit den fünfziger
Jahren durch die CIA ermutigt wurden, aber dass sie heute nicht nur die
Stabilität der Region bedrohen, sondern die Interessen der USA selbst. Wie
Wladimir Putin im letzten Jahr im Valdai-Club erklärte, ist es also
wünschenswert zusammenzuarbeiten, um die aktuellen Probleme zu lösen.
Putin: Who created ISIS? | Quelle:
Inessa S via Youtube | veröffentlicht 25.09.2015
Allerdings ist die russische Führung gleichermaßen davon überzeugt, dass
Washington seinen Partnern nur zuhört, wenn sie stark sind. Also hat die Duma
über eine Militärintervention gegen terroristische Gruppen in Syrien debattiert
und ihre Zustimmung dazu gegeben. Es handelt sich um die zweite Intervention
außerhalb der Russischen Föderation seit ihrer Schaffung 1991 – die erste war
der Südossetien-Krieg von 2008. Unverzüglich ließ das russische Heer seine
Jagdbomber in Latakia aufsteigen und Einrichtungen von al-Qaida und Ahrar
Al-Sham zerstören.
Die Wahl der Angriffsziele erstrebt gleichzeitig,
die anderen Mächte zur Klärung ihrer Politik gegenüber diesen terroristischen
Gruppen zu zwingen,
eine Botschaft an die Türkei zu richten, deren Offizieren zur Zeit Ahrar
Al-Sham unterstellt ist;
schließlich auch zu zeigen, dass keine terroristische Gruppe verschont wird.
Diese Intervention drückt die Absicht Russlands aus, im Vorderen Orient eine
Rolle zu spielen – nicht gegen die Vereinigten Staaten, sondern mit ihnen. Weit
entfernt davon, Präsident Obama herauszufordern, will Russland ihm im Gegenteil
die militärische Unterstützung geben, die er dringend braucht, während das
Pentagon zur Arena für interne Auseinandersetzungen geworden ist.
Wer unterstützt die terroristischen Gruppen?
Es ist üblich geworden zuzugeben, dass die Dschihadisten in Syrien von
ausländischen Kräften bewaffnet und finanziert werden. Kein Staat bestätigt
indessen öffentlich eine solche Unterstützung. Die Reaktionen auf den russischen
antiterroristischen Polizeieinsatz in Syrien haben die Widersprüchlichkeiten
zahlreicher weiterer Beteiligter offen gelegt.
So hat der französische Außenminister Laurent Fabius erklärt, „Eine Koalition
[um Russland], deren Grundlagen jeden Zusammenschluss von Syrern gegen den
Terrorismus verbieten, würde in Wirklichkeit der Propaganda von Daesh
entgegenkommen und seine Anziehungskraft verstärken“. Damit hat er gezeigt, dass
es nicht das Ziel Frankreichs und seiner Verbündeten im Fall Syriens – der
Türkei und Saudi-Arabiens – war, gegen Daesh zu kämpfen, sondern gegen die
russische Vision der internationalen Beziehungen.
Der Präsident des Senatsausschusses für die Streitkräfte John McCain hat
bestätigt, dass Ahrar Al-Sham Bestandteile enthält, die von den USA ausgebildet
und bewaffnet wurden. Folglich ist nach seiner Meinung der russische Angriff
gegen die Terroristen eine Aggression gegen die Vereinigten Staaten. Mit
derselben Logik hat er empfohlen, Boden-Luft-Raketen an die Dschihadisten zu
liefern, damit sie sich gegen die russischen Flugzeuge wehren können.
Eine Botschaft an die Türkei
In Kenntnis der Tatsache, dass die Gruppe Ahrar Al-Sham, früher durch Kuwait
gesponsert, jetzt weitgehend durch Offiziere der türkischen Armee flankiert und
finanziert wird, bedeuten diese Bombardierungen auch eine Warnung an Präsident
Recep Tayyip Erdogan.
Dieser ersetzte zunächst den saudischen Prinzen Bandar bin Sultan als
Koordinator des internationalen islamischen Terrorismus. Dann trat er an die
Stelle von Qatar und hat die Türkei zum Refugium der Muslimbüder gemacht. Im
Dezember 2014 hatte die Türkei ein strategisches Gasabkommen mit Russland
unterzeichnet, welches sie schließlich auf Druck der Vereinigten Staaten wieder
aufgab. Gleichzeitig stellten die Türkei und die Ukraine eine „Internationale
islamische Brigade“ auf, um gegen „die russische Besetzung der Krim“ zu kämpfen.
Folglich sind die Beziehungen zwischen Ankara und Moskau plötzlich angespannt
[1].
Während einer Reise des Präsidenten Erdogan am 23. September nach Moskau
anlässlich der Einweihung der größten Moschee Europas war es seinem russischen
Amtskollegen zwar gelungen, ihn zur Mäßigung seiner Rhetorik gegen die Arabische
Republik Syrien zu bewegen, aber nicht zur Aufgabe seiner Aggressionspolitik.
Zurück in seinem Land hatte Erdogan sich mit der Erklärung begnügt, dass der
Abschied von Präsident al-Assad nicht mehr Vorbedingung für eine Regelung der
syrischen Krise wäre. Weil Russland diesen Fortschritt unzureichend fand,
stellte es Befähigungsnachweise für den Anti-Daesh-Kampf an die PKK aus und ließ
damit durchblicken, dass es die türkische kurdische Partei gegen ihre Regierung
unterstützen könnte.
Keine terroristische Gruppe wird verschont
Indem Russland beschloss, al-Qaida und Ahrar Al-Sham zu schlagen, verschob es
die Debatte von der scheinbaren Einmütigkeit im Kampf gegen Daesh auf die
Kakophonie gegenüber al-Qaida. Wenn heute alle Welt zugibt, dass die durch Osama
bin Laden gegründete Organisation ursprünglich eine Schöpfung der USA ist, so
glaubt jeder – oder gibt zu glauben vor –, dass sie sich gegen ihren Schöpfer
gewandt und ihm die schrecklichen Verluste des 11. September 2001 zugefügt hat.
Nun hat sich aber al-Qaida in Libyen mit der Nato verbündet, um die
Dschamahiriya zu stürzen und Muammar al-Gadaffi zu ermorden. Diese Tatsache war
so schockierend für den US-amerikanischen General Carter Ham, den Kommandeur des
AfriCom, dass er darum bat, zugunsten des Atlantischen Bündnisses aus seinem Amt
abgelöst zu werden.
In Syrien lieferten Frankreich und die Türkei durch Vermittlung der Freien
Syrischen Armee Munition an al-Qaida, wie ein Schriftstück der FSA beweist, das
am 14. Juli 2014 an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen übermittelt wurde
[2].
Und aktuell rufen General David Petraeus, ehemals Direktor der CIA, und sein
Freund John McCain dazu auf, al-Qaida gegen die Arabische Republik Syrien zu
unterstützen.
Die Gruppe Ahrar Al-Sham selbst wurde kurz vor Beginn der Ereignisse in Syrien,
im März 2011, durch die Muslimbrüder gegründet, von denen einige al-Qaida-Kader
waren. Nebenbei zeigt ihre Existenz, dass – konträr zu der Behauptung des
Präsidenten Hollande am Rednerpult der UN – der Terrorismus in Syrien schon vor
Beginn des Krieges existierte und nicht dessen Folge ist, sondern die Ursache,
wie von Präsident al-Assad bestätigt wird.
Was auch immer die Lügen der Nato und die Widersprüchlichkeiten sind, die sie
bei dem einen oder anderen verursachen, Russland wird definitiv nicht bestimmte,
für ihre geheimen Sponsoren wirkende Gruppen verschonen, sondern alle Ziele
bombardieren, die mit den terroristischen Gruppen verbunden sind, welche die Uno
auflistet (al-Qaida, al-Nusra, Daesh).
Wer stellt sich aktiv gegen die russische Intervention?
Seit Beginn der Entsendung der russischen Streitkräfte – und über Bodentruppen
der OVKS ist noch nicht debattiert worden – wird weltweit eine breite
Desinformationskampagne geführt, um Russland vorzuwerfen,
dass es die Syrische Arabische Armee unterstützt;
dass es nicht nur terroristische Gruppen, sondern die „regimefeindliche“
Zivilbevölkerung bombardiert;
dass es zusammen mit der iranischen Revolutionsgarde eine breite Offensive
vorbereitet.
Die Kriegspropaganda, die Grundlage und Merkmal des Krieges der vierten
Generation war, den die Nato vom Februar 2011 bis zum März 2012 koordinierte,
hatte sich schrittweise abgeschwächt. Während man ein Jahr lang täglich
erfundene Geschichten gehört hatte, die angebliche Verbrechen des „Regimes“
illustrieren sollten, beschränkte sich die Propaganda von jener Zeit an auf
einige kleine Gruppen – darunter die SOHR, eine Londoner Brutstätte der
Muslimbrüder, von der die Medien der Natoländer sich abfüllen ließen. Mit
pawlowschem Reflex reproduzieren diese Medien ohne nachzudenken die
schamlosesten Lügen.
Des soldats russes en Syrie? | Quelle: Iitele via Youtube | veröffentlicht
08.09.2015
Zuerst wurde ein Video der Syrischen Arabischen Armee benutzt, in dem man
russische Stimmen hört, um den Eindruck zu erwecken, die Syrer würden durch
russische Offiziere angeleitet. In Wahrheit entstammte die Stimme einem
Walkie-Talkie-Gespräch zwischen Dschihadisten. Yuri Artamonov deckte diesen
Interpretationsfehler auf, indem er das Tonband genau studierte [3].
Information warfare: Russia accused of killing
civilians in Syria | Quelle: RT | veröffentlicht
01.10.2015
Dann gab es eine Flut von Bildern und Videos über die zivilen Opfer der
russischen Bombardierungen. Die Bilder und Videos wurden verbreitet, während in
der Duma [Kammer des russischen Parlaments] die Debatte [über den geplanten
Einsatz] lief, das heißt vor den Bombardierungen.
Quelle: wochit News | veröffentlicht
01.10.2015
Iran Troops To Join Syria War, Russia Bombs
Group Trained By CIA
Schließlich stellte man die Anwesenheit von iranischen Kämpfern in Syrien als
Vorbereitung für eine große Gegenoffensive des „Regimes“ und seiner Verbündeten
gegen die „Rebellen“ vor. In Wahrheit waren nach dem Fall von Palmyra die
iranischen Streitkräfte von den USA bevollmächtigt worden, sich in Syrien
einzumischen, aber ihre Zahl bleibt unter 5.000, was nicht ausreicht, um eine
Gegenoffensive in einem riesigen Gebiet zu führen. Was die bewaffneten Rebellen
betrifft, so haben wir bereits darauf hingewiesen, dass alle entweder mit
al-Qaida oder mit Daesh verbunden sind.
Bleibt nachzuweisen, wer die Kampagne von Falschmeldungen organisiert und warum.
Wenn es nicht möglich ist, die Lösung zu finden, solange man nur Syrien im Blick
hat, so ist die Antwort klar, wenn man dieses Kriegstheater in den Zusammenhang
des Umbaus der internationalen Beziehungen stellt.
Der russische Vorschlag an den Sicherheitsrat
Russland hat vorgeschlagen, dass der Sicherheitsrat den ganzen Monat Oktober
hindurch die Art und Weise des Kampfes gegen den Terrorismus nicht nur in
Syrien, sondern in ganz Nordafrika und dem Nahen Osten untersucht [4].
Offensichtlich sind Moskau und Washington übereingekommen, heute das Abkommen
umzusetzen, das sie 2012 beschlossen haben – und welches Clinton, Petraeus,
Allen, Feltman, Hollande und Fabius sabotierten: sich die Verantwortlichkeiten
in der arabischen Welt zu teilen. Russland mag sich allerdings nicht auf
Treibsand einspannen lassen und ruft zunächst zur Sanierung des Geländes auf.
Erinnern wir uns an die Grundlage dieses Abkommens: die USA wollten einen Teil
ihrer in der Region stationierten Truppen abziehen, wenn Russland die Sicherheit
Israels gewährleistet [5].
Russland setzt als Bedingung für diese neue Aufteilung der Welt die Überführung
eines imperialistischen Systems, so wie das von Jalta, in ein System, das auf
das internationale Recht im Allgemeinen und auf die Charta der Vereinten
Nationen im Besonderen gegründet ist. Es verurteilt im Voraus „die Einmischung
in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten, den Rückgriff auf Gewalt ohne
die Ermächtigung durch den Sicherheitsrat und die Lieferung von Waffen an
extremistische nichtstaatliche Akteure“.
Man täusche sich nicht darüber, dass mit dieser Lösung die Anwendung der
Resolutionen des Sicherheitsrates gemeint ist, darin einbezogen jene, die Israel
betreffen, die Umsetzung der Arabischen Friedensinitiative und des Gemeinsamen
umfassenden Aktionsplans zum Nuklearprogramm Irans, die Schaffung von
Kontrollmechanismen für die Einhaltung der Gesamtheit dieser Texte durch die
Staaten und schließlich der weltweite Kampf gegen die Ideologie der
Muslimbrüder.
Kurz und gut:
Trotz der schweren Kontroversen, die gegen ihn geführt werden (Aufgebot des
Raketenschutzschilds, Regierungsumsturz in der Ukraine, Versuch der Anklage
Wladimir Putins vor einem internationalen Gericht), bedenkt der Kreml, dass er
der Obama-Regierung helfen könnte, die mangelnde Effizienz ihrer Politik zu
erkennen und sich auf das internationale Recht zurückzubesinnen.
Nur unter dieser Voraussetzung ist Russland bereit, die Verantwortlichkeit für
die Sicherheit Nordafrikas und des Mittleren Ostens einschließlich der
Sicherheit Israels mit den USA zu teilen.
Die russischen Bombardierungen sind nicht gegen die Verbündeten der
Vereinigten Staaten gerichtet, sondern sind eine militärische Unterstützung für
Präsident Obama, auf den die Anti-Daesh-Koalition seit einem Jahr nicht hört.
Russland hofft, die USA zu einer regionalen Friedenskonferenz bewegen zu
können mit dem Ziel, die Resolutionen des Sicherheitsrats – einschließlich des
Rückzugs Israels in die Grenzen von 1967 –, die Arabische Friedensinitiative und
den Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan zum Nuklearprogramm Irans umzusetzen.
Um den islamischen Terrorismus endgültig zu besiegen, muss dessen Ursache
bekämpft werden: die materialistische Ideologie der Muslimbrüder.
Thierry Meyssan Französischer Intellektueller, Präsident und Gründer des Réseau
Voltaire und der Konferenz Axis for Peace. Er veröffentlicht Analysen über
ausländische Politik in der arabischen, latein-amerikanischen und russischen
Presse. Letztes, auf Französisch veröffentlichte Werk : L’Effroyable imposture :
Tome 2, Manipulations et désinformations (hg. JP Bertand, 2007).