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13.02.2015 11:00
Das kollektive Leugnen der Deutschen oder die Angst vor der
Wahrheit
Eurokrise - Seit Jahren erleben wir das gleiche Spiel
der deutschen Politik. Es spiegelt sich in vielen Facetten, aber die Botschaft
bleibt in fast allen Medien die gleiche: Jede deutsche Schuld an der Eurokrise
wird geleugnet. Alle anderen haben Schuld, nur ein Land hat alles richtig
gemacht. Da passt es wie die Faust auf’s Auge, dass sich der Spiegel gerade ein
neues Logo gegeben hat: „Keine Angst vor der Wahrheit“. [Quelle:
flassbeck-economics.de] JWD
Mit 70 Leuten, so die Werbung, prüfe man jedes Wort jeden Artikels in diesem
einflussreichen Medium. Das mag sein, aber es ist leider genau das falsche
Vorgehen. Denn wenn beispielsweise McKinsey ohne Sinn und Verstand über
Bruttoschulden schreibt (hier von uns erwähnt) und der Spiegel das nachplappert,
dann hilft nur Nachdenken über Inhalte und nicht Nachprüfen von Worten, will man
sich wirklich der „Wahrheit” nähern.
Einen einfachen Test können wir natürlich in Sachen Eurokrise machen. Wann hätte
die Spiegel-Redaktion (mit Ausnahme der beiden Kolumnisten Wolfgang Münchau und
Jakob Augstein in Spiegel-Online) – ohne Angst vor der Wahrheit – über die
Ursachen der Eurokrise geschrieben und über die unrühmliche Rolle, die
Deutschland mit seiner Unterbewertungsstrategie dabei spielte? Gestern wäre
wieder eine gute Gelegenheit gewesen, sich der Wahrheit in dieser Sache zu
nähern, als alle Medien einschließlich Spiegel-Online vollkommen unkritisch
Meldungen abdruckten, wonach der deutsche Export wieder alle Rekorde „knackte“
und die deutschen Überschüsse im Außenhandel die höchsten aller Zeiten sind.
In der Tat, mit 7,4 Prozent (so die Schätzung der Deutschen Bundesbank in
Verbindung mit den jüngsten Daten zum nominalen Bruttoinlandsprodukt seitens des
Statistischen Bundesamtes) stellt der deutsche Leistungsbilanzüberschuss im Jahr
2014 einen neuen Rekord dar. In den vorausgehenden Jahren betrug er bereits
sagenhafte 5,7 Prozent (2010), 6,1 Prozent (2011), 7,1 Prozent (2912) und 6,7
Prozent (2013) – sagenhaft, weil der Leistungsbilanzüberschuss niemals zuvor so
hoch war (vgl. Abbildung 1), auch nicht in den Zeiten vor der deutschen
Wiedervereinigung. Die gut 4 Prozent, die Westdeutschland in der zweiten Hälfte
der 1980er Jahre erreichte, galten damals als Extremwert. Der sich dadurch
ergebende Druck von Seiten der Devisenmärkte führte dazu, dass die D-Mark
gegenüber dem US-Dollar und innerhalb des Europäischen Währungssystems (EWS)
aufwerten musste. Und das entwertete die von Westdeutschland durch die
Handelsüberschüsse im Ausland angehäuften Vermögen – ein Ventil, das innerhalb
einer Währungsunion bekanntlich nicht zur Verfügung steht.
+
Quelle: flassbeck-economics.de (verlinkt) |
Der jetzt erreichte Leistungsbilanzüberschuss von 7,4 Prozent sprengt die
(willkürlich und asymmetrisch gesetzte) Grenze von 6 Prozent des Verfahrens bei
makroökonomischen Ungleichgewichten (Macroeconomic Imbalance Procedure MIP)
deutlich. Diese Grenze war und ist an sich schon ein Unding, weil sie nicht
symmetrisch ist zu der Grenze mit umgekehrtem Vorzeichen für Defizitländer. Den
Defizitländern der Europäischen Währungsunion hat man bekanntlich eine Grenze
von -4 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts gesetzt, ab deren Unterschreiten die
EU-Kommission das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht des Landes als kritisch
ansieht und auf eine Reduktion der Defizite drängt. Bei den Überschussländern
hat man sich – vermutlich auf Drängen Deutschlands – zu der laxeren Grenze von 6
Prozent entschlossen. Obendrein wird auch nur der Dreijahresdurchschnitt der
Salden betrachtet, d.h. für einzelne Jahre können die Grenzen auch mal über-
bzw. unterschritten werden (wenn das in anderen Jahren entsprechend ausgeglichen
wird), ohne dass die EU-Kommission sofort Alarm schlägt.
Die Asymmetrie in der Beurteilung von Überschüssen und Defiziten ist abzulehnen,
weil die Logik der Saldenmechanik zwingend erfordert, dass die Summe aller
Leistungsbilanzdefizite in der Welt gleich der Summe aller
Leistungsbilanzüberschüsse ist. Warum sollte einem Land sein
außenwirtschaftlicher Überschuss weniger schnell vorgeworfen werden als einem
anderen sein Defizit? Wenn das Überschussland eine Überschussposition von
insgesamt 6 Prozent auf mehrere Länder verteilt hat, so dass deren Defizit
jeweils, sagen wir, 5 Prozent ist, dann soll das unproblematisch sein für das
Überschussland und problematisch für die Defizitländer. Wie sollte das
zusammenpassen?
Das einzige sachliche Argument für diese Ansicht, das uns dazu einfällt, ist
folgendes: Ein Defizitland kann in Zahlungsschwierigkeiten geraten, ein
Überschussland nicht. Wenn man aber außenwirtschaftliche Defizite ab einer
gewissen Höhe als schädlich ansieht, wofür es gute Gründe gibt, dann muss das
genau so für deren Gegenstück, die Überschüsse, gelten, weil die Defizite ohne
die Übeschüsse gar nicht existierten. Hinzu kommt: Hinter dem
Leistungsbilanzsaldo in Prozent des Bruttoinlandsprodukts eines im Vergleich zu
seinen Handelspartnern relativ großen Landes wie Deutschland stehen absolut
gesehen erheblich mehr Milliarden als hinter dem prozentualen Saldo eines
kleinen Landes. 7 Prozent deutscher Überschuss muss sozusagen erst mal auf den
Rest der Welt verteilt sein. Angenommen die Welt bestünde nur aus Spanien und
Deutschland, dann entspräche einem deutschen Überschuss von 7 Prozent ein
prozentual deutlich höheres spanisches Defizit (nämlich fast 20 Prozent).
Wie dem auch sei – die Regel im Rahmen des MIP ist asymmetrisch. Offenbar war
schon bei ihrer Aufstellung klar, dass sich der deutsche Leistungsbilanzsaldo
weit oberhalb von +4 Prozent bewegen würde, so dass aus deutscher Sicht ein
höherer Prozentsatz erforderlich war, wollte man einer Überprüfung und Ermahnung
durch die EU-Kommission entgehen. Die Hoffnung allerdings, dass der deutsche
Saldo um 6 Prozent herum schwanken werde, hat sich als falsch erwiesen. Kratzte
der Dreijahresdurchschnitt die 6-Prozent-Marke bis 2011 nur geringfügig (vgl.
die schwarze Linie in Abbildung 1), kann davon spätestens seit 2012 nicht mehr
die Rede sein. Vermutlich konnte sich im Kreis der Regelerfinder niemand
vorstellen, dass Deutschlands Nettoexporte noch weiter steigen würden.
Woran könnte diese Fehleinschätzung liegen, die sich genau so in dem Papier der
Bundesregierung findet, in dem auf den In Depth Review (IDR) der EU-Kommission
reagiert wird, der die deutschen Überschüsse kritisiert (wir haben das hier
kommentiert)? Wenn der Anteil des Leistungsbilanzüberschusses am BIP von 7 auf 6
Prozent sinken soll, damit das makroökonomische Ungleichgewicht reduziert wird,
fehlt der deutschen Wirtschaft ein Prozent Gesamtnachfrage (nominal). Die müsste
in gleicher Höhe durch Binnennachfrage ersetzt werden, wenn es zu keinem
Konjunktureinbruch kommen soll. Ein Anteil ist eben keine Wachstumsrate. Hat man
das vielleicht nicht hinreichend bedacht? Wüchse die Binnenwirtschaft kräftig,
könnte Deutschland aus seinem außenwirtschaftlichen Ungleichgewicht nach und
nach herausfinden, ohne den absoluten Wert der außenwirtschaftlichen Überschüsse
spürbar senken zu müssen (was allerdings bedeutete, dass das Ausland weiter
Schulden bei uns anhäuft, wenn auch nicht mehr beschleunigt). Doch davon sind
wir offenbar weit entfernt.
Wie man es auch dreht und wendet: Der krasse Verstoß Deutschlands gegen eine
wichtige EWU-Regel lässt sich nicht länger bemänteln. Wer das wie etwa der
Spiegel verschweigt, sagt noch lange nicht die Wahrheit, selbst wenn er nicht
direkt lügt. [...]
Weiterlesen im Originaltext bei ' flassbeck-economics.de '
..hier
Passend zum Thema:
13.02.2015 [Quelle: flassbeck-economics.de]
Die Wahrheit des IfW und der Wirtschaftswoche
Auf ein besonders starkes Beispiel von Manipulation in den deutschen Medien hat
uns ein Leser hingewiesen (danke dafür!). Die Wirtschaftswoche verteidigt unter
dem Titel „Deutschland stützt hilflose Europartner“ die deutschen
Exportüberschüsse und stützt sich ihrerseits dabei auf eine “Medieninformation“
des Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Das ist bekanntlich eine
wirtschaftswissenschaftliche Einrichtung, die mit Steuergeldern finanziert wird
und laut eigener Homepage ihre „Hauptaufgabe in der Erforschung innovativer
Lösungsansätze für drängende weltwirtschaftliche Probleme [sieht].
Auf Basis dieser Forschungsarbeiten berät […] [das Institut] Entscheidungsträger
in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und informiert die interessierte
Öffentlichkeit über wichtige wirtschaftspolitische Zusammenhänge.“ Die
Medieninformation des IfW über die jüngsten Daten des Statistischen Bundesamtes
bzw. der Deutschen Bundesbank zum deutschen Außenhandel veranlasst den Autor des
Beitrags in der Wirtschaftswoche zu dem Untertitel „Bevor das Geschrei über die
Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft losgeht, sollten sich die Kritiker die
Zahlen ansehen.“ Dieser Aufforderung wollen wir gern nachkommen.
Das IfW schreibt: „Zudem zeigen die neusten Zahlen, dass die Partnerländer im
Euroraum zunehmend von der deutschen Exportstärke profitieren.“ Begründet wird
diese Einschätzung mit folgenden Zahlen: „Der Anteil der Lieferungen in den
Euroraum an den gesamten Ausfuhren ist von knapp 37 Prozent auf 36,5 Prozent
zurückgegangen. … Der Anteil der Importe aus dem Euroraum an den gesamten
Einfuhren [ist] im Jahr 2014 das zweite Jahr in Folge von rund 38 Prozent auf
38,8 Prozent gestiegen. Die Partnerländer im Euroraum partizipieren damit
zunehmend von der robusten deutschen Konjunktur.“
Oh Wunder der Prozentrechnung, du hast schon immer davon gelebt, dass man die
Basis verschweigt, von der aus du dich abspielst! Es ist zwar richtig, dass der
Anteil der Exporte von Waren und Dienstleistungen Deutschlands in den Euroraum
an den gesamten deutschen Exporten von Waren und Dienstleistungen rückläufig ist
(1991 waren es ca. 43 %, heute sind es ca. 33 %). Das gilt nebenbei bemerkt auch
für den Anteil der Importe (1991: 48 % an allen Waren- und
Dienstleistungsimporten Deutschlands, aktuell ca. 39 %). Aber was besagt das,
wenn der absolute Wert der Exporte nach wie vor den absoluten Wert der Importe
übertrifft? Der Saldo beim Handel mit Waren und Dienstleistungen, den
Deutschland mit den Europartnerländern erwirtschaftet, ist zwar kräftig
gesunken, aber er ist noch immer positiv, d.h. noch immer verschulden sich die
Europartnerländer beim Handel mit uns. Und das lt. Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamtes mit wieder leicht steigender Tendenz. Denn die
deutschen Ausfuhren in die Eurozone nahmen 2014 um 2,7 % zu, die Einfuhren von
dort aber nur um 2,3 %.
Betrachtet man nicht nur Waren und Dienstleistungen, sondern die gesamte
Leistungsbilanz, wird die weiterhin andauernde Neuverschuldung der Europartner
in Deutschland noch deutlicher: Die anderen Euroländer machen mit Deutschland
immer noch ein Defizit von ca. 50 Mrd. Euro jährlich (vgl. Abbildung 1). Davon
ist beim IfW und in dem Beitrag der Wirtschaftswoche nicht die Rede. Wenn 2015
der gesamte deutsche Leistungsbilanzüberschuss (gegenüber dem Rest der Welt)
erneut steigt, wie vom Bundeswirtschaftsminister erwartet, wird mit Sicherheit
auch der Überschuss gegenüber den Europartnern mindestens erhalten bleiben. Das
wären dann in den ersten drei Quartalen 2015 wieder 36 Milliarden Euro neue
Schulden wie schon in den ersten drei Quartalen 2014.
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Quelle: flassbeck-economics.de (verlinkt) |
Hinzu kommt, dass viele Außenhandelsdefizite in der Eurozone vor allem deswegen
zurückgegangen sind, weil sich die Länder in einer tiefen Rezession befinden und
daher weniger importieren, nicht aber weil sie so exportstark sind. Frankreich,
das nicht so tief in der Rezession steckt, hatte 2011, 2012 und 2013 ein
Leistungsbilanzdefizit gegenüber Deutschland von jeweils 36 Mrd. Euro und weist
in den ersten drei Quartalen 2014 schon wieder ein Defizit von 27 Mrd. auf, ....
Weiterlesen im Originaltext bei '
flassbeck-economics.de '..hier
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