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12.02.2015 20:20
Medien im Krieg
Dass die Medien sehr wohl auch einseitige Propaganda, ja, Lügen verbreiten, ist vielen spätestens seit dem Machtkampf um die Ukraine mehr als bewusst. Ist die Einseitigkeit hierbei jedoch nur Zu- oder eher Regelfall? Und wie kommen sie eigentlich in die Welt – all die Kriegseintritts- und sonstigen Lügen? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke mit Jörg Becker, der seit Langem hierzu arbeitet und forscht. [Quelle: NachDenkSeiten] JWD

Herr Becker, Ihr neues Buch, das demnächst erscheint und das Sie selbst als eine Art Lebenswerk bezeichnen, trägt den Titel „Medien im Krieg – Krieg in den Medien“. Was ist Ihr Anliegen mit diesem Buch? Worum geht es?

Ich habe mit diesem Buch ein mehrfaches Anliegen. Der doppelte Titel soll darauf hinweisen, dass jede Auseinandersetzung mit diesem Thema dann völlig zu kurz greift, wenn sie sich darauf beschränkt, allein über verzerrte Inhalte nachzudenken, also nur auf Kriegsberichterstattung orientiert. Die ist zwar selbstverständlich wichtig, aber es geht vor allem um die gesellschaftlichen Strukturen, die derlei verlogene Berichterstattung bedingen.

Daher spreche ich in diesem Buch auch über die Tätigkeiten von PR-Agenturen, die mit aktivem Kriegsmarketing in den Medien Profit machen, vom völkerrechtswidrigen Bombardement von Mediengebäuden im Krieg, davon, wie elitäre soziale Netzwerke zwischen Medien und Politik das Kriegsgeschäft hochschrauben und beschreibe, dass sich in Kriegszeiten auch NGOs vor den militaristischen Karren der Mainstream-Medien spannen lassen. Ich bin kein Medienwissenschaftler, der sich damit zufrieden gibt, sich schlaue Gedanken über die Inhalte in den Medien zu machen, sondern Politikwissenschaftler, der die politischen Bedingungen jenseits der Inhaltsebene analysieren will.

Wichtig ist mir in meinem ganzen Buch auch ein historischer Gedanke und das in zweierlei Hinsicht. Zum einen mache ich kontinuierlich darauf aufmerksam, dass es besonders zu Kriegsanfang bestimmte Kriegslügen in den Medien schon immer gegeben hat, zum anderen kann ich den historischen Gedanken an meinem eigenen Berufsleben verdeutlichen, da ich nun seit vierzig Jahren an diesem Thema arbeite.

Mit „historischem Gedanken“ meinen Sie also die Entwicklung von Kriegslügen und -propaganda über die Zeit?

Ja, genau das. In der Schule haben wir alle von dem von den Nazis am 1. August 1939 fingierten Überfall auf den Sender Gleiwitz als Vorwand für den deutschen Überfall auf Polen gehört. Und wir haben in der Schule doch ebenso gelernt, dass der Überfall auf amerikanische Schiffe 1964 in der Bucht von Tonkin nur vorgetäuscht war, um den USA einen Vorwand zu liefern, den Vietnamkrieg beginnen zu können. Wo steht geschrieben, dass es solche Lügen nicht mehr gibt? Was lernen wir endlich aus solchen Lügenkriegsgeschichten? Warum sind die deutschen Medien nicht wenigstens nachträglich zu Selbstkritik fähig, wenn sie schon 1964 die gesamten amerikanischen Lügen mitgetragen haben?

Es wird also gelogen und manipuliert? Von wem und wie denn genau – und warum?

Nun, selbstverständlich lügen die Herrschenden – und zwar die in der Politik genauso wie die in den Medien. Wer meint, dass es sich bei brandheißen Themen wie Krieg und Medien in den Feldern Politik und Medien um voneinander getrennte Sphären handelt, wer etwa meint, dass Medien die Politik kontrollierten oder dass Politiker die Medien manipulierten, der irrt in beiden Fällen. Zwischen beiden Sphären gibt es vielmehr einen so engen Austausch von Menschen, Ideen und Geld, dass es sich mehr oder minder nur um eine einzige Sphäre handelt. Es ist die von mir so beschriebene und sogenannte Struktur M hoch 5 (M&sup5;). Das steht für Macht – Maschine – Militär – Männer – Medien.

Freilich hatte der kürzlich verstorbene Münchener Soziologe Ulrich Beck völlig recht, als er sagte, dass dem Kosovo-Krieg ein, wenn auch ungewolltes, Bündnis von NATO und Amnesty International zugrunde lag. Die gesellschaftliche Mitmachfalle haut den evangelischen Pfarrern unseres Landes – Joachim Gauck, Wolfgang Huber, Katrin Göring-Eckardt und anderen – doch seit langem ihre Bergpredigt um die Ohren, die Grünen – Joschka Fischer und Cem Özdemir etwa – haben an der Tür des politischen Opportunismus ihren Antimilitarismus doch längst abgegeben und den geschätzten 12 Prozent Hedonisten aus der Mittelschicht unserer Republik sind Shopping und Swingerclubs allemal wichtiger als etwa die Erfahrung eines Kriegsberichterstatters wie Goethe, der mitten in der Schlacht von Valmy 1792 feststellte, dass er nun Augenzeuge „einer neuen Epoche der Weltgeschichte“ geworden sei. Die nicht aufzulösende Weber‘sche Dynamik von Verantwortungs- und Gesinnungsethik ist bei Medien und Politik inzwischen an eine intellektuell sehr dünne, zumal kurzfristige Verantwortungsethik verkrüppelt oder ist beim Lustgefühl der Hedonisten sogar völlig abhandengekommen. Was kümmert mich schon ein Krieg in Libyen?, heißt es da wohl.

Lassen Sie uns das bitte anhand des Irakkrieges, der mich politisierte und den Sie – neben anderen Kriegen – in Ihrem Buch auch analysieren, bitte einmal durchgehen. Welche „Lügen“ gab es hier genau – und wie kamen diese in die Welt?

Dieser Krieg spielt im Rahmen meines Buches eine besondere Rolle, denn… 1. Die exklusive Rolle des TV-Senders CNN und die über das Fernsehen öffentlich ausgetragenen Duelle zwischen Saddam Hussein und George Bush senior waren in ihren Auswirkungen derartig stark, dass man seit diesem Krieg vom CNN-Faktor spricht und damit also eine komplette, perfekte, mediale Kriegsinszenierung meint. 2. Da sich diese mediale Inszenierung auch innerhalb aller Nahoststaaten abspielte, die dortigen TV-Zuschauer aber die US-amerikanische Siegerpose von CNN nicht länger ertragen konnten und wollten, führte dies 1996 zur Geburtsstunde eines neuen globalen TV-Senders, nämlich Al-Dschasira. 3. Dieser sogenannte Zweite Irakkrieg war der wichtigste Krieg nach 1945, in dem die Medien Saddam Hussein als einen Wiedergänger von Adolf Hitler verteufelten. Tauchte nach 1945 ein Vergleich mit Auschwitz in deutschen Medien erst während des Biafrakriegs 1967/70 auf, so verkauften dann US-amerikanische PR-Agenturen den Medien dieser Welt das Doppelpaket Auschwitz + Slobodan Miloševic als weiteren Wiedergänger Hitlers höchst professionell im bosnischen Medienkrieg 1992/95 gegen Serbien.

Und auch die ganze Lügerei lässt sich gut im Sommer 2003 zu Beginn des Irak-Krieges nachzeichnen. Wiederum brauchte man einen Vorwand, um ein Land anzugreifen. Ich nenne mal ein paar der damals wichtigsten Lügen. Die al-Qaida-Lüge, also, die absurderweise unterstellte Kooperation von Saddam Hussein mit al-Qaida, die Niger-Lüge nach der der Irak aus dem Niger Uran gekauft haben sollte, die Lüge über Massenvernichtungswaffen im Irak, die Lüge, der Irak verfüge über Raketen mit einer Reichweite von 200 Kilometern oder die Lüge, dass die Hussein-Statue in Bagdad durch die irakische Bevölkerung gestürzt worden sei, obwohl dieser Sturz eine höchst geschickte Bildmanipulation des amerikanisches Militärs war.

Im Übrigen diente in Deutschland die Lüge von einem sogenannten Hufeisenplan Verteidigungsminister Rudolf Scharping im Frühling 1999 zur Rechtfertigung der NATO-Intervention in den Kosovo.

Skandalös sind aber nicht nur diese Lügen, skandalös ist es ebenso, dass solchen Lügen nachher, wenn sie auffliegen, nichts folgt. Warum setzte der von einem Minister angelogene Deutsche Bundestag keinen Untersuchungsausschuss ein? Warum wurde gegen Scharping kein Strafverfahren eingeleitet? Warum beschäftigte sich der Deutsche Presserat nicht mit dieser Lüge?  [...]

Jörg Becker (Prof. Dr.) ist seit 1987 Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg, war von 1987 bis 2010 Geschäftsführer des KomTech-Instituts für Kommunikations- und Technologieforschung in Solingen und von 1999 bis 2011 Gastprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Von ihm stammen zahlreiche deutsche und internationale Veröffentlichungen zu den Bereichen Internationale Beziehungen, Friedensforschung und Medienpolitik.

Weiterlesen im Originaltext bei ' nds.de '..hier

 
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