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04.04.2013 21:35
Die Deutschen zwischen Verfolgungs- und Größenwahn
Wenn man dieser Tage die Verlautbarungen der Politiker und die Kommentare in den Medien verfolgt, dann kann einem nur noch Angst und Bange werden. Es herrscht eine Stimmung, wie man sie in der Literatur oder in der kritischen Geschichtsschreibung vor exakt einhundert Jahren, nämlich vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges beschrieben findet. Wir Deutschen sind die Erfolgreichsten, wir sind diejenigen die wirtschaftlich am besten dastehen, wir haben die die richtigen wirtschaftspolitischen Konzepte, wir bürgen und zahlen für die anderen, wir sind die Retter Europas, am deutschen Modell soll Europa genesen. So hört und liest man allenthalben. Dieses Selbstlob, ja diese Selbstüberschätzung trägt Züge von Größenwahn. [Quelle: NachDenkSeiten / Wolfgang Lieb]  JWD

Auf der anderen Seite beklagt man die Kritik unserer Nachbarn an der maßgeblich von der deutschen Regierung geprägten Austeritätspolitik mit einer Weinerlichkeit, die man nur noch als Verfolgungswahn bezeichnen kann.

Von Portugal, über Spanien, Italien, Griechenland und jetzt auch in Zypern gehen die Menschen auf die Straße und lassen ihre Wut gegen die Kanzlerin, gegen die Deutschen aus. Nazi-Symbole werden uns Deutschen entgegengehalten und Angela Merkel mit Hitler-Bärtchen auf Plakate gemalt. Auch das sieht man fast jeden Abend in der Tagesschau.

Unter der Überschrift „Auf sie mit Gebrüll“ beklagt sich der Leiter des Brüsseler Büros der Süddeutschen Zeitung, der doch eigentlich ansonsten sehr ausgewogen berichtende Martin Winter über die „feindselige Stimmung“ und „die Wut in den Krisenländern gegen die Deutschen“. Auch in vielen anderen Medien finden sich solche Beiträge voller Selbstmitleid. Diese in Deutschland um sich greifende Weinerlichkeit wiederum trägt Züge von Verfolgungswahn. Wie so häufig treffen Größen- und Verfolgungswahn zusammen.

An Martin Winters Kommentar habe ich mich besonders gestoßen, weil ja „die Süddeutsche“ nicht nur die größte deutsche Tageszeitung im Lande ist, sondern weil sie entgegen ihrem Regionalbezug im Namen, eher als europafreundlich, liberal und tolerant gilt. Von Springers Welt oder Bild erwartet man ja ohnehin nur offen oder versteckt nationalistische oder gar chauvinistische Töne.

Der Kommentar in der SZ ist also ein Warnzeichen dafür, wie weit die Weinerlichkeit nach innen bei gleichzeitiger Feindseligkeit nach außen schon ins bürgerliche Bewusstsein vorgedrungen ist.

Die Selbstbezogenheit in diesem Artikel beginnt schon in der Anmoderation: „Die ständig geschürten Vorurteile gefährden das Fundament der EU.“ Die Vorurteile sind also nur bei den „vielen Nachbarländern“ zu finden, bei uns Deutschen natürlich nicht.

Dass während der gesamten Euro-Krise in Deutschland Stimmung gegen die faulen und korrupten Griechen, gegen die lahmen und fußkranken Portugiesen, gegen die mafiosen und testosteronüberschüssigen Italiener, gegen die gesamten PIGS-Staaten (pigs= englisch Schweine) gemacht wurde, hat Martin Winter offenbar verdrängt. Nach seiner Meinung weht ausschließlich „den Deutschen …in Europa ein rauer Wind um die Ohren“. Dass es vor allem der Einfluss der deutschen Politik in Brüssel war, der für Millionen Europäer nicht nur „rauen Wind“ wehen ließ, sondern handfeste Not brachte, wird kritiklos für richtig und gut gehalten.

[..] Das ist die typisch Mischung aus deutschem Größen- und Verfolgungswahn, der im letzten Jahrhundert Europa zweimal in die Katastrophe geführt hat. Die zweite deutsche Demokratie ist auf dem Weg zur ersten.

Die deutsche Großspurigkeit, dass der deutsche Agenda-Kurs alternativlos sei und alle anderen diesem Kurs folgen müssten, koste es was es wolle, ist meilenweit von der Haltung entfernt, mit der Deutschland nicht nur seine Einheit wiedergewonnen hat, sondern zu einem angesehenen und erfolgreichen Glied der europäischen und auch der Weltgemeinschaft geworden ist.

„Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn werden im Innern und nach außen“, sagte Willy Brandt in seiner Regierungserklärung im Jahre 1969. Gute Nachbarn sind nur, die sich dem deutschen Modell unterordnen, heißt es heute.

Merkel und Schäuble haben offenbar aus der der deutschen Geschichte nichts gelernt.

Es ist katastrophal, dass die deutschen Medien den Deutschen wieder einmal die teutonische Großmannssucht anstacheln und sich dabei gleichzeitig als Opfer hinzustellen versuchen. Geschichte wiederholt sich als Tragödie oder als Farce. Man kann nur hoffen, dass es bei der Posse bleibt.

Link zum vollständigen Artikel bei ' nachdenkseiten.de ' ..hier


Anmerkung: Wolfgang Lieb trifft die aktuelle Situation im Land recht gut. Die herrschende Hofberichterstattung zeigt mit dem Finger auf die Oper, will sich in die internen Angelegenheiten souveräner Staaten einmischen und propagandistisch Stimmung gegen diese machen. Der Hauptschuldige und bisherig Nutznießer der Krise ist aber Deutschlands herrschende, mit der Politik verfilzte Elite, die das europäische Staatengebilde aus reiner Profitsucht missbraucht und der Selbstzerstörung preis gibt.


 
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