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15.06.2012 03:00
Der Preis der Ungleichheit und der Mythos von der Chancengleichheit
USA - Nobelpreisträger für Wirtschaft Joseph Stiglitz* beschäftigt sich mit den verheerenden Folgen der wachsenden Ungleichheit bei der Einkommensentwicklung in den USA. [Quelle: luftpost-kl.de]  JWD


[Auszüge]:
Die USA betrachten sich selbst gern als Land der gleichen Chancen für alle, und von außen werden sie oft im gleichen Licht gesehen. [..]

Die Statistik sagt uns, dass der Traum der US-Amerikaner vom schnellen Aufstieg in unserer Zeit zum Mythos geworden ist. In den USA gibt es heute weniger Chancengleichheit als in Europa oder in fortschrittlichen außereuropäischen Industriestaaten, für die Daten vorliegen.

[..] Während der Phase des "Wirtschaftsaufschwungs" in den Jahren 2009 und 2010 schnappte sich das eine Prozent der Spitzenverdiener 93 Prozent des Einkommenszuwachses. Bei anderen Indikatoren der Ungleichheit – zum Beispiel bei Vermögen, Gesundheit und Lebenserwartung – sieht es genau so schlimm oder sogar noch schlimmer aus. Der Trend geht eindeutig zur Konzentration des Einkommens und des Reichtums bei den Spitzenverdienern, während der Mittelstand ausgehöhlt und der große Rest immer ärmer wird.

[..] Wenn man die Spitzenverdiener unter die Lupe nimmt, zeigt sich, dass sie ungleich bessere Chancen zur Vergrößerung ihres Reichtums als alle anderen haben: Einige konnten ihr Vermögen durch Ausnutzung ihrer Monopolmacht mehren; andere haben als Chefmanager von Unternehmen Mängel in der Unternehmensführung ausgenutzt, um einen unverhältnismäßig großen Teil der Unternehmensgewinne für sich selbst abzuzweigen; wieder andere konnten auf Grund ihrer guten politischen Beziehungen die Freigiebigkeit der Regierung ausnutzen, indem sie ihr Waren – zum Beispiel Arzneimittel – viel zu teuer verkauften oder ihr für Konzessionen – zum Beispiel für das Recht zum Abbau von Bodenschätzen – viel zu wenig bezahlten.

Die Finanzhaie vergrößern ihren Reichtum zum großen Teil durch Ausbeutung der Armen, [..].

Es wäre nicht ganz so schlimm, wenn die immer wieder gehörte Behauptung, vom wachsenden Reichtum der Spitzenverdiener würden auch alle anderen profitieren, auch nur ein Körnchen Wahrheit enthielte. Den meisten US-Amerikanern geht es aber heute schlechter als früher, denn ihre inflationsbereinigten Einkommen sind heute niedriger, als sie vor 1½ Jahrzehnten im Jahr 1997 waren. Das Wirtschaftswachstum hat nur die Spitzenverdiener begünstigt.

Die Verteidiger der Ungleichheit in den USA sind der Meinung, dass sich die Armen und und die US-Bürger mit mittleren Einkommen nicht beklagen können. Sie bekämen zwar ein kleineres Stück des Kuchens ab als früher, weil der Kuchen dank der Bemühungen der Reichen und Superreichen heute aber viel schneller wachse, sei ihr (kleineres) Teilstück sogar größer geworden. In Wirklichkeit stimmt das natürlich nicht. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Einkommen aller stiegen, ist die US-Wirtschaft tatsächlich stärker als nach 1980 gewachsen – nach dem Jahr, in dem die extrem unterschiedliche Einkommensentwicklung einsetzte.

Das kann jemanden, der die Ursachen der Ungleichheit kennt, nicht überraschen. Die Profitsucht zerstört die Wirtschaft. Die Kräfte des Marktes spielen natürlich eine Rolle, und auch die Politik mischt in der Wirtschaft mit; in den USA mit ihrem äußerst korrupten System der hohen Wahlkampfspenden und ihren Drehtüren zwischen Regierung und Industrie wird aber auch die Politik vom großen Geld bestimmt.

[..] Die wachsende Ungleichheit ist nicht unvermeidlich. Es gibt Marktwirtschaften, in denen sowohl das Bruttoinlandsprodukt als auch der Lebensstandard der meisten Bürger wächst. [..]

Die USA bezahlen einen hohen Preis für die unterschiedliche Entwicklung. Die Ungleichheit lässt das Wachstum schrumpfen und senkt die Effizienz. Wenn in einer Gesellschaft keine Chancengleichheit herrscht, wirkt sich das nachteilig auf ihren wichtigsten Aktivposten aus – auf ihre Menschen, die sich nicht voll entfalten können.

[..] Die USA sind deshalb zu einem Staat geworden, in dem es "Gerechtigkeit für alle" nicht mehr gibt, weil die Reichen ständig bevorzugt werden und nur noch diejenigen "Gerechtigkeit" erlangen, die sich (gute Anwälte) leisten können. [..]

Die USA sind nicht mehr das Land der großen Chancen für alle, das sie einmal waren. Das muss aber nicht so bleiben: (Bei einer veränderten Politik) könnten wieder mehr US-Amerikaner vom eigenen Aufstieg zu träumen beginnen.
[Ende Auszüge]

Link zum vollständigen Artikel bei ' luftpost-kl.de ' (PDF)  ..hier   


Anmerkung: Der absolut lesenswerte Artikel wurde von Luftpost-kl.de übersetzt und dem Originalartikel beigefügt. Für uns Deutsche ist der Artikel sehr relevant, da Merkel und Co. zu den eifrigsten Nachahmern und willfährigsten Vollstreckern der neoliberalen Wirtschaftsdoktrin gehören.

Der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger spricht im Gegensatz zu den neoliberalen Heuchlern nicht von Chancengerechtigkeit, sondern berechtigter Weise von Chancengleichheit.  Wie fundamental unterschiedlich diese Begriffsbestimmungen sind, können sie in meinem Hinweis vom 15.02.2012 "Heimtückische Soziallehre deutscher Bischöfe" - nachlesen. ..hier


*) Joseph E. Stiglitz (Joseph Eugene „Joe“ Stiglitz; * 9. Februar 1943 in Gary, Indiana) ist ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler. Für seine Arbeiten über das Verhältnis von Information und Märkten erhielt er 2001 zusammen mit George A. Akerlof und Michael Spence den Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank in Gedenken an Alfred Nobel. [Quelle: Wikipedia ..hier]

Bahnbrechende Theorien in den Feldern der Wirtschaftsinformation, der Besteuerung, der Entwicklung, des Handels und des technischen Wandels  wurden von Stiglitz entwickelt.



Link zu einer Veröffentlichung vom 11.06.2012 bei Financial Times Deutschland  ..hier

 
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