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31.12.2011 15:30
Marx, Engels, Luxemburg... Gysi
Im Onlinemagazin 'Der Freitag' wird in der Rubrik 'Meistkommentiert' lebhaft ein Leserbeitrag diskutiert, der einen mutmaßlich, unangebrachten Personenkult linker Genossen beklagt. Marx, Engels und Luxemburg seien letztlich durch Experimente in der Realität widerlegt. [Quelle: freitag.de]  JWD


Der Verfasser, der nach eigener Bekundung schon seit längerem zum Thema etwas sagen wollte, bezieht sich als Aufhänger auf ein Zitat von Rosa Luxemburg, welches in einem Kommentar zu einem Gysi- Interview wiedergegeben worden war:

[Zitat]: „Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der 'Gerechtigkeit', sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die 'Freiheit' zum Privilegium wird.“

„Das Proletariat kann, wenn es die Macht ergreift, nimmermehr nach dem guten Rat Kautskys […] auf die soziale Umwälzung verzichten und sich nur der Demokratie widmen, ohne an sich selbst, an der Revolution Verrat zu üben. Es soll und muß eben sofort sozialistische Maßnahmen in energischster, unnachgiebigster, rücksichtslosester Weise in Angriff nehmen, also Diktatur ausüben; aber Diktatur der KLASSE, nicht einer Partei oder Clique, Diktatur der Klasse, d. h. in breitester Öffentlichkeit, unter tätigster ungehemmter Teilnahme der Volksmassen, in unbeschränkter Demokratie.“  Rosa Luxemburg 
[Ende Zitat]

..wie kann man sich Diktatur der Klasse wünschen, nach allem, was im 20. Jahrhundert geschah? In wie fern hat es sich ergeben, dass Diktatur der Klasse besser wäre als irgendeine andere Form der Diktatur? Hat man eigentlich mitbekommen, was bei der Diktatur der Klasse mit den Menschen geschieht? Haben die blutigen erbarmungslosen Experimente immer noch nicht ausgereicht? Warum glaubt man, dass bei der nächsten Diktatur der Klasse es besser funktionieren würde? Welche Ansätze hat man dafür?..

Die Kommentierung des Kritikers ist reichlich undifferenziert, emotionsgetrieben und polemisch, ganz in dem Stil, wie derartige Debatten im Mainstream üblicherweise geführt werden. Besonders die realitätsferne Gleichsetzung und Verknüpfung von völlig unterschiedlichen Dingen könnte der Meinungsmaschinerie von Bertelsmann und Co. entsprungen sein. Auch wenn manche Argumente der Linksorientierten nicht mehr ganz frisch sind, sind sie deshalb nicht falsch und begleiten wegen der großen Relevanz die Kulturgeschichte.

Unverständlich für mich, was an den angeführten Rosa Luxemburg- Zitaten, ganz besonders beim Ersten, zu bemängeln ist.

Besser kann man die Notwendigkeit von Minderheitenschutz und Freiheit für Jedermann kaum formulieren.

Beim 2. Zitat, wo von der Diktatur des Proletariats (der Klasse) gesprochen wird, muss man die Aussage im Kontext zur damaligen Zeit sehen.

In Deutschland war gerade ein absolutistisches System in Folge des 1. Weltkrieges überwunden worden. Eine übermächtige Bourgeoisie bzw. das Junkertum hatte den Kaiser bis dato vereinnahmt und dieser seinen Untertanen die gewünschte Politik diktiert. In der formal konstitutionellen Monarchie waren die Parlamente reine Debattierklubs und hatten faktisch keine politische Macht. Seit 1914 herrschte sowieso Kriegsrecht. Die Reichskanzler konnten die Abgeordneten nach belieben gegeneinander ausspielen um die gewünschten Abstimmungsergebnisse herbeizuführen.

Um diese Diktatur einer kleinen Clique zu beenden, setzte Rosa Luxemburg verbal auf die 'Diktatur des Volkes' nach demokratischen Regeln. Der übermächtige Staat sollte ja gerade abgeschafft werden und an dessen Stelle eine Demokratie entstehen. Wenn RL von sozialistischen Maßnahmen sprach, sprach sie keineswegs von Diktatur im eigentlichen Sinn, oder von dem was später der existiert habende Sozialismus werden sollte, sondern davon, den Staat nach demokratischen Regel, mit gleichem Wahlrecht für alle, zu organisieren, um eine gerechtere Politik zu verwirklichen.

Die radikalen Formulierungen zur Durchsetzung des Vorhabens sind sicherlich damit begründet, dass die alte Machtelite weitgehend neutralisiert werden sollte (und auch musste), um einer echten Demokratie überhaupt eine Chance zu geben.

Bei einer etwa zeitgleichen Entwicklung in Russland, als das geknechtete Bürgertum in Februar 1917 gegen die Feudalherrschaft geputscht hatte, kam Lenins Partei im allgemeinen Wirrwarr bei der Oktoberrevolution im gleichen Jahr an die Macht. Vom deutschen Kaiserreich zumindest wohlwollend unterstützt, beseitigte er die bürgerliche Übergangsregierung, die weiterhin am 1. Weltkrieg gegen Deutschland teilnehmen wollte. Lenins revolutionäre Motivation war sicher auch mit Rachegefühlen gegen die alte Feudalherrschaft begründet, von der sein Bruder wegen einer unterstellten Verschwörung  hingerichtet worden war.

Rosa Luxemburg, die bereits 2 Jahre später, kurz nach Kriegsende vom weißen Terror ermordet wurde,  hatte sich früh sehr deutlich von Lenin und den Vorgängen in Russland distanziert, da sie erkannte, dass es dort in eine falsche Richtung läuft. Lenins Doktrin, in der er sich zwar auch auf Marx bezog, war mit der marxschen Lehre dennoch unvereinbar. In sofern hatte das alles mit Marx fast gar nichts zu tun (als Marx in März 1883 starb, war Lenin 13 Jahre alt).

Weder Marx, noch Engels, noch Rosa Luxemburg hatten den Kommunismus erfunden. Den gab es bereits bei den Urchristengemeinden in Jerusalem, die sich ab dem Jahr 30 bis 50 bildeten, oder auch 150 Jahre lang bei den Jesuiten in Paraguay im 16. und 17. Jahrhundert.

Marx, der 1883 starb, wurde schon zu Lebzeiten sehr kontrovers diskutiert und interpretiert. Seine Schriften hatten auf alle sozialen Bewegungen großen Einfluss. In der SPD war er tonangebend bis 1959. Ein zentrales Anliegen seiner Philosophie bestand gerade darin, die Allmacht des Staates zu brechen um demokratische Verhältnisse herzustellen. Gerade er, der unter staatlicher Willkür besonders zu leiden hatte, hätte nie und nimmer gutgeheißen, wie später einige seiner Ideen in Russland und anderswo interpretiert wurden. Selbst den Marxismus französischer Prägung, den seine Schwiegersöhne in Frankreich forcierten, befürwortete er nicht und äußerte in diesem Zusammenhang "Alles was ich weiß, ist nur dies, dass ich kein Marxist bin".

Sein Nachlass bestand aus einigen tausend Seiten Schriftmaterial, in dem er meist philosophisch zu vielen Dingen Stellung bezog. Sein Hauptwerk 'Das Kapital' beschreibt in ziemlich zutreffender Weise, wie Zyklen in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung ablaufen und er erkannte eine Menge systemimmanenter Mängel, die bei dieser Wirtschaftsweise zwangsläufig auftreten müssen.

Nach seiner Theorie setzt ab einem bestimmten Stadium des Entwicklungsprozesses eine Verelendung der Masse ein, die letztlich mit einem Kollaps des Systems endet.

Krieg - Zerstörung - Neubeginn wäre eine Variante, eines sich selbst überlassenen Raubtierkapitalismus.

Soll dieser Zyklus verhindert werden, sind Eingriffe in das System notwendig (unumgänglich), die in letzter Konsequenz zu einem Sozialismus führen müssen. Dazu braucht es notwendigerweise keine Gewalt, sondern nur Einsichten, die sich letztlich für alle beteiligten positiv auswirken.

Übrigens wurde dieser Zusammenhang auch von Joseph Schumpeter, einer der Gründerväter des deutschen Odoliberalismus formuliert. Auch er prognostiziert, wenn auch unterschiedlich begründet, dass der Kapitalismus nicht überlebensfähig sei und in Sozialismus münden würde.

Da sich der Kapitalismus in seinem Wesen nicht geändert haben dürfte, sollten auch die festgestellten Gesetzmäßigkeiten, nach denen er funktioniert, heute noch zutreffend sein. Wahrscheinlich wurden die Lebenszyklen aktuell nur durch die Globalisierung etwas verlängert, die Probleme sind keineswegs beseitigt und spitzen sich momentan besonders schnell zu. Schon deshalb wird sich die Debatte wieder neu entfachen.

Marx war Philosoph und hatte noch heute gültige grundlegende Zusammenhänge herausgearbeitet. Das elementarste Problem sah er materialistisch in den Eigentumsverhältnissen an Produktionsmitteln begründet. Er war überzeugt, alle wesendlichen gesellschaftlichen Probleme würden sich quasi in Wohlgefallen auflösen, wenn eine Vergemeinschaftung der Produktionsmittel erfolgen würde. Wie eine solche Gesellschaft im Detail aussehen müsste, oder wie diese zu erreichen sei, war wohl nie zentraler Gegenstand seiner Betrachtung.

Warum gibt es keine zeitgenössischen neuen Theorien?

Theorien für was? Es gibt wohl einige Zeitgenossen mit neuen Gesellschaftsentwürfen (Grundeinkommen etc.). Auf Grund der Machtverhältnisse sind wohl alle darauf angewiesen, dass das jetzige System kollabiert und dann nach und nach eine Sozialisierung stattfindet.

Ein neues Modell, wie der Neoliberalismus von Milton Friedmann, mit seiner unsichtbaren Hand, - die alles von selbst regelt -, ist ja gerade dabei kläglich zu scheitern.

Aber Weiterentwicklung muss ja nicht zwangsläufig zum Positiven stattfinden. Wenn die Vorstellungen der Bilderberger mittels willfähriger Politiker wie Merkel & Co Realität werden, wird eine neofeudale Epoche die Geschichte fortsetzen. Es lebe der Frondienst und der Niedriglohnsektor als Quelle für den Wohlstand weniger!


Link zum Thema bei freitag.de  ..hier


Ein interessanter Aufsatz zum Thema von Michael Schmidt Salomon:
Marx und die Marxismen (PDF) ..hier


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