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09.07.2011 13:30
wsk-Allianz: Parallelbericht der Allianz für wirtschaftliche,  soziale und kulturelle Rechte in Deutschland
Der diesjährige Bericht der wsk-Allianz (Allianz für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Deutschland) liegt als PDF-Datei vor. Auf 80 Seiten werden Entwicklungen in unserer Gesellschaft herausgestellt die beim offiziellen Staatenbericht des UN- Ausschusses sowie in den meisten Medien ungenannt bleiben.  JWD

Auszug:

7.1.3. UMVERTEILUNG VON ARM ZU REICH - ZUNAHME DER ALTERS- UND KINDERARMUT
Die Reformen der Bundesregierung leiteten eine beträchtliche Umverteilung „von unten nach oben“ ein: Eines der auffälligsten Merkmale der sozialökonomischen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum nach 2000 war die rasche Verschiebung beim Volkseinkommen zwischen der Lohnquote und der Quote der Unternehmens- und Vermögenseinkommen - von 72,2 : 27,9 (2000) zu 64,8: 35,2 (2007).
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Eine solche Umverteilung von Volkseinkommen zu Gunsten von Unternehmern und Kapitaleigentümern innerhalb von wenigen Jahren hat es bisher in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben. Es ist vor allem ein Teil aus der „Mitte der Gesellschaft“ – d.h. derjenigen, die mit ihrem Einkommen zwischen 70% und 150% des Durchschnittseinkommens liegen – die vom Paradigmenwechsel in den sozialen Sicherungssystemen betroffen sind. So ist es keineswegs überraschend, dass die Mittelschicht, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung vor dem Jahre 2000 lange Zeit relativ konstant zwischen 64 und 62% der Gesamtbevölkerung lag, von 2000 bis 2006 um ca. fünf Millionen Personen auf ein Anteil von 54% zurückging, während die Einkommensunterschicht um sieben Prozentpunkte wuchs. Der soziale Abstieg eines Teils der Mittelschicht war und ist mit den Maßnahmen des Abbaus der sozialen Sicherungssysteme programmiert.
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Durch Langzeitarbeitslosigkeit, Niedriglöhne und „Rentenreform“ wurde darüber hinaus der Grundstein für einen massiven Anstieg von Altersarmut in den nächsten Jahrzehnten gelegt – die Rentenansprüche von zunehmend mehr Neurentnern werden dann, vor allem durch die wachsende Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse, durch immer wieder von Phasen der Arbeitslosigkeit unterbrochenen Arbeitsbiographien und durch die mit der Rentenreform eingeführte Absenkung des Rentenniveaus, unterhalb des Sozialhilfeniveaus liegen, d.h. sie fallen in den Bereich der staatlichen „Grundsicherung für Rentner“, für die es sich erübrigt, Rentenansprüche durch eigene Rentenbeiträge zu erwerben. Damit wird zugleich die staatliche Rentenversicherung so diskreditiert, dass künftig wachsende Teile der Bevölkerung sich weigern könnten, überhaupt noch in dieses Rentensystem einzuzahlen.

Die staatliche Förderung privater „Eigenvorsorge“ fürs Alter, mit der Verluste aus der Absenkung der staatlichen Rente ausgeglichen werden sollen, geht am Kern der Sache vorbei, weil dabei außer acht bleibt, dass es der Einkommensunterschicht schlichtweg an Einkommen mangelt, um eine solche private Vorsorge zu betreiben. Sozialverbände und Nichtregierungsorganisationen weisen neben der Altersarmut auch auf eine zunehmende Kinderarmut hin (siehe Kapitel zu Artikel 11):
• Die OECD -Kinderstudie geht davon aus, dass jedes sechste Kind in Deutschland unter der Armutsgrenze lebt, im OECD- Schnitt „nur“ jedes zehnte. • Laut dem deutschen Kinderschutzbund leben ca. 2, 5 Millionen Kinder auf Sozialhilfeniveau.
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• Alleinerziehende mit Kindern im Alter bis zu drei Jahren unterliegen einem weit überdurchschnittlichen Armutsrisiko von mehr als 50 Prozent. Auch unter jungen Erwachsenen bis zu einem Alter von 25 Jahren lebt knapp ein Viertel mit einem Haushaltseinkommen unterhalb der Armutsgrenze.
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Die finanziellen Leistungen der Grundsicherung decken nicht das soziale Existenzminimum ab, Gesellschaftliche Verantwortung reduziert sich für wirtschaftlich und sozial Benachteiligte mehr und mehr auf eine Art Armen- als Almosenfürsorge, deren Empfängerinnen sich auf keinen Rechtsanspruch berufen können: Suppenküchen, Kleiderkammern, Sozialkaufhäuser und Wärmestuben haben Hochkonjunktur. Ein Ausdruck des Rückzuges des Staates aus sozialer Verantwortung, von zunehmender sozialer Ungleichheit und wachsender Armut ist die „Tafelbewegung“: Überschüssige Lebensmittel werden durch Sozialeinrichtungen und sozial engagierte Bürger eingesammelt und kostenlos an bedürftige Menschen und soziale Einrichtungen verteilt.

Heute versorgen in der Bundesrepublik rund 800 Lebensmitteltafeln – etwa dreimal so viele wie noch im Jahre 2000 – fast eine Million Menschen mit dem Notwendigsten. Dabei gibt es auch hier eine soziale Ungleichheit: Im vergleichsweise reichen Bayern gibt es mehr „Tafeln“ als in den neuen Bundesländern des Nordens.

Die Gewerkschaften wenden sich mit Nachdruck gegen die zunehmende Tendenz der Polarisierung von arm und reich: Das reichste Zehntel der Bevölkerung konnte sein Einkommen im Zeitraum von 2000 – 2008 um 18% steigern, während das ärmste Zehntel einen Verlust um 18% hinnehmen musste.
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Die Polarisierung beim Vermögen dürfte dadurch weiter verfestigt werden und obwohl über den Reichtum in der Gesellschaft in Deutschland nur relativ ungenaue Daten vorliegen, kann man davon ausgehen, das sich 60% des privaten Nettovermögens in Deutschland in den Händen des einkommensstärksten Zehntels der Bevölkerung befinden, während die untere Hälfte auf der Einkommensskala über kein nennenswertes Vermögen verfügt.

Der Abbau sozialer Sicherungen in der Bundesrepublik Deutschland ist unseres Erachtens auch ein klarer Verstoß gegen Artikel 11 Absatz 1 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte:
„Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung. Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen.“

Im Zuge von „Reformen“ wurden für zahlreiche Bevölkerungsgruppen (Beschäftigte in prekären Arbeitsverhältnissen und im Niedriglohnsektor, Arbeitslose, insbesondere Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende und Kinder in Familien, die auf die „Grundsicherung“ angewiesen sind, Empfänger von „Minirenten“ u.a.m.) die Lebensbedingungen nicht verbessert, sondern verschlechtert. Die politische Opposition spricht in Bezug auf die „Reformen“ von „staatlich verordneter Armut“.

FORDERUNG:
Staat und Politik sind gefordert, der Polarisierung von Einkommen und Vermögen entgegen zu wirken, für mehr sozialen Ausgleich zu sorgen und neue Konzepte zur Bekämpfung der Armut in Deutschland zu entwickeln und umzusetzen. Angesichts der desolaten Lage auf dem Arbeitsmarkt ist es höchste Zeit, die „Reformen“ zum Abbau des Sozialstaates durch Reformen zum Ausbau des Sozialstaates zu ersetzen, um so der sozialen Spaltung der Gesellschaft entgegen zu wirken.

Ende Auszug

Quelle: Paralellbericht der WSK-Allianz [PDF] ..hier

Zum Artikel bei nds.de ..hier



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